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Schiffbruch Mit Tiger

Schiffbruch Mit Tiger

Titel: Schiffbruch Mit Tiger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yann Martel
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schwach. Die einzigen Regungen waren ein Zittern im Hinterbein und dann und wann ein Lidschlag. Ich war entsetzt. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass ein Geschöpf so sehr leiden und trotzdem weiterleben könnte.
    Die Nerven der Hyäne waren gespannt. Sie hatte sich nicht zur Ruhe gelegt, als der Tag begann. Vielleicht hatte sie sich überfressen; der Bauch war gewaltig angeschwollen. Auch Orangina war schlechter Stimmung. Sie fuchtelte mit den Armen und bleckte die Zähne.
    Ich blieb wo ich war, zusammengerollt nicht weit vom Bug. Ich war geschwächt in Körper und Seele. Ich fürchtete, ich würde ins Meer fallen, wenn ich wieder auf das Ruder hinauskroch.
    Gegen Mittag war das Zebra tot. Die Augen waren glasig, und es reagierte nicht mehr auf die gelegentlichen Angriffe der Hyäne.
    Am Nachmittag entlud sich die Gewalt. Die Spannung war auf ein unerträgliches Maß gestiegen. Die Hyäne lachte. Orangina schnatterte und schmatzte laut. Ganz unvermittelt hoben beide die Stimmen, die Laute verschmolzen zu einem. Die Hyäne machte einen Satz über das, was vom Zebra noch übrig war, und stürzte sich auf Orangina.
    Ich glaube, ich habe die Wildheit einer Hyäne deutlich genug beschrieben. Für mich stand der Ausgang fest. Ich hatte Oranginas Leben schon aufgegeben, bevor sie auch nur eine Chance hatte, es zu verteidigen. Aber ich hatte sie unterschätzt. Ich hatte ihre Zähigkeit unterschätzt.
    Sie versetzte dem Untier einen Hieb auf den Kopf. Ich hielt den Atem an. Mein Herz schmolz dahin vor Liebe und Bewunderung und Furcht. Hatte ich gesagt, dass sie ein ehemaliges Schoßtier war, brutal von ihren indonesischen Herren ausgesetzt? Die alte Geschichte vom lästig gewordenen Liebling. Sie geht etwa so: Ein Tier wird als Spielzeug gekauft, wenn es klein und knuddelig ist. Seine Besitzer sind begeistert. Dann wird es größer und gefräßiger. Es will einfach nicht stubenrein werden. Seine Kräfte wachsen, es wird widerborstig. Eines Tages holt das Dienstmädchen die Decke aus dem Körbchen, weil es sie waschen will, oder der Sohn schnappt dem Tier zum Spaß ein Stück Essen weg - wegen solcher Dinge, anscheinend Kleinigkeiten, zeigt das Tier die Zähne, und die Familie bekommt einen Schreck. Schon am nächsten Tag findet das Tier sich hinten im Jeep der Familie wieder und holpert begleitet von seinen menschlichen Brüdern und Schwestern davon. Sie fahren in den Dschungel. Allen im Wagen kommt er fremd und feindselig vor. Man findet eine Lichtung. Ein paar kurze Blicke in die Runde. Mit einem Mal heult der Motor des Jeeps auf, die Räder spritzen Schlamm, und das Schoßtier sieht alle, die es kannte und liebte, am Rückfenster des Jeeps. Sie starren hinaus, während der Wagen davonschießt. Sie haben das Tier ausgesetzt. Das Tier begreift nicht, wie ihm geschieht. Es kennt sich im Dschungel genauso wenig aus wie seine menschlichen Brüder. Es sitzt da, wartet, dass sie zurückkommen, ringt die Panik nieder, die in ihm aufsteigt. Aber sie kommen nicht zurück. Es wird Abend. Nicht lange, und das Tier verliert allen Lebensmut. Binnen weniger Tage ist es verhungert oder vor Kälte gestorben. Oder Hunde zerfleischen es.
    So wäre es Oranginabeinahe gegangen. Stattdessen landete sie in Pondicherry im Zoo. Sie blieb ein sanftes und friedfertiges Tier, ihr Leben lang. Aus meiner Kindheit erinnere ich mich, wie ihre endlos langen Arme mich umfassten, wie ihre Finger, jeder davon so lang wie meine ganze Hand, in meinem Haar nach Läusen suchten. Sie war ein junges Weibchen, das erste Versuche mit seinen Mutterinstinkten machte. Als sie größer und wilder wurde, beobachtete ich sie von ferne. Ich hätte gedacht, ich kenne sie so gut, dass ich jeden ihrer Schritte voraussagen kann. Ich war mir sicher, dass ich nicht nur ihre Gewohnheiten, sondern auch ihre Grenzen kannte. Doch die Wildheit, die sie nun an den Tag legte, der verzweifelte Mut, bewiesen mir das Gegenteil. Mein Leben lang hatte ich nur einen Teil von ihr gekannt.
    Sie versetzte dem Untier einen Hieb auf den Kopf. Und zwar einen gewaltigen Hieb. Der Kopf der Hyäne knallte auf die Bank, und das mit einer Wucht, dass sie nicht nur beide Vorderbeine von sich streckte, sondern dazu gab es einen Schlag, dass ich erwartet hätte, dass entweder das Holz oder die Kinnlade oder beides zu Bruch gingen. Aber schon im nächsten Augenblick war sie wieder auf den Beinen, und jede Faser ihres Fells stand zu Berge wie die Haare auf meinem Kopf; ganz so energisch wie zuvor

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