Schiffbruch Mit Tiger
nicht zuschlagen. Nach allem, was ich in den Tagen zuvor erlebt hatte, mögen solche Gefühlsanwandlungen lächerlich wirken, aber das waren die Taten anderer gewesen, Taten von Raubtieren. Man konnte sagen, dass ich mitverantwortlich für den Tod der Ratte war, aber ich hatte sie nur geworfen; getötet hatte Richard Parker sie. Mein ganzes bisheriges Leben als friedfertiger Vegetarier stand zwischen mir und der gezielten Enthauptung dieses Fisches.
Ich bedeckte den Fischkopf mit der Decke und drehte das Beil um. Wieder schwebte meine Hand in der Luft. Der Gedanke, dass ich mit einem Hammer auf einen weichen, lebendigen Kopf einschlagen sollte, war unerträglich.
Ich legte das Beil zur Seite. Ich würde dem Fisch den Hals brechen und dabei nicht hinsehen. Ich wickelte ihn fest in die Decke. Mit beiden Händen bog ich das Päckchen. Je mehr Druck ich ausübte, desto heftiger zappelte der Fisch. Ich stellte mir vor, wie ich mich fühlen würde, wenn ich in eine Decke gewickelt wäre und jemand versuchte, mir das Genick zu brechen. Ich war entsetzt. Mehrmals gab ich auf. Und doch wusste ich, dass ich es tun musste, und je länger ich wartete, desto länger dauerten die Qualen des Fischs.
Mit tränenüberströmten Wangen trieb ich mich an, bis ich endlich ein Knacken hörte und der Überlebenskampf in meinen Händen endete. Ich zog die Decke beiseite. Der Fliegende Fisch war tot. Der Kopf war auf einer Seite aufgeplatzt und blutig, da wo die Kiemen waren.
Ich weinte bitterlich um diese arme verstorbene Seele. Es war das erste fühlende Wesen, das ich getötet hatte. Ich hatte getötet. Ich war schuldig geworden wie Kain. Ich war sechzehn Jahre alt, ein harmloser Junge, fromm und weltfremd, und jetzt klebte Blut an meinen Händen. Das ist eine entsetzliche Bürde. Jedes fühlende Wesen ist heilig. Bis heute schließe ich diesen Fisch in alle meine Gebete ein.
Danach war es leichter. Jetzt wo er tot war, sah der Fliegende Fisch nicht anders aus als die Fische auf dem Markt in Pondicherry. Er war etwas anderes, etwas, das außerhalb des großen Schöpfungsplans stand. Ich hackte ihn in Stücke und legte sie in den Eimer.
Als der Tag sich seinem Ende zuneigte, versuchte ich erneut mein Glück mit dem Fischen. Anfangs erging es mir nicht besser als am Morgen. Aber der Erfolg schien nur eine Frage der Zeit. Die Fische knabberten eifrig an dem Köder. Ihr Interesse war unverkennbar. Mir ging auf, dass es kleine Fische waren, zu klein für den Haken. Also warf ich meine Angel weiter aus und ließ sie tiefer ins Wasser sinken, jenseits der Reichweite der kleineren Fische, die sich rings um das Floß und das Rettungsboot scharten.
Schließlich hatte ich meinen ersten Erfolg. Ich hatte den Kopf des Fliegenden Fisches als Köder genommen und nur ein Gewicht angehängt, und nach dem Auswerfen zog ich die Schnur rasch wieder zurück, sodass der Fischkopf über die Wellen hüpfte. Eine Dorade schoss heran und schnappte nach dem Fischkopf. Ich ließ die Schnur ein wenig locker, weil ich sichergehen wollte, dass sie den Köder tatsächlich verschluckte, bevor ich ihn dann mit kräftigem Ruck wieder zu mir hinzog. Die Dorade schnellte aus dem Wasser und zerrte so heftig an der Schnur, dass sie mich beinahe vom Floß gerissen hätte. Ich stemmte mich dagegen. Die Schnur war zum Zerreißen gespannt. Es war eine gute Angelschnur; sie würde nicht reißen. Ich begann meinen Fang einzuholen. Die Dorade kämpfte mit aller Kraft, sie sprang und tauchte und zappelte. Die Angelschnur schnitt mir in die Hände. Ich schützte meine Hände mit der Decke. Mein Herz hämmerte. Der Fisch war so stark wie ein Ochse. Allmählich kamen mir Zweifel, ob es mir wirklich gelingen würde, ihn aus dem Wasser zu ziehen.
Mir fiel auf, dass alle anderen Fische rings um das Boot und das Floß verschwunden waren. Zweifellos hatten sie bemerkt, in welcher Gefahr die Dorade war. Ich musste mich beeilen. Der Kampf würde Haie anlocken. Aber die Dorade wehrte sich wie der Teufel. Meine Arme schmerzten. Jedes Mal, wenn ich sie in der Nähe des Floßes hatte, schlug sie mit solcher Wucht um sich, dass ich wieder Schnur nachlassen musste, ob ich wollte oder nicht.
Aber schließlich gelang es mir, meinen Fang an Bord zu ziehen. Er war über einen Meter lang, viel zu groß für meinen Eimer. Bestenfalls hätte die Dorade ihn sich als Hut überstülpen können. Mit Knien und beiden Händen hielt ich den Fisch fest. Es war eine einzige zuckende Muskelmasse, so lang,
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