Schiffstagebuch
Seehunde und Fisch, wie sie es vor zehntausend Jahren taten.
Langsam drehen wir um die Península de Brunswick nach Norden. Der nächste Hafen ist Punta Arenas, die südlichste Stadt Chiles. Es ist Nacht, wir liegen
auf Reede, an Land sehe ich Autos und Lichter, seltsam nach all den Tagen auf See mit nichts anderem als menschenleeren Landschaften und dem Meer. Am nächsten Morgen bietet die Stadt im Frühlicht
einen schönen Anblick, niedrige Häuser vor dem Hintergrund brauner Hügel. Das Wasser im Hafen glatt, kalter Satin. Zwei schlepperartige Schiffe ankern in
seiner Mitte. Gestern haben wir Kap Froward passiert, ich habe etwas aufgeschrieben über Vögel, das ichjetzt nicht mehr entziffern kann,
Wasservögel, deren Flügel länger sind, als ihr (weißer) Rumpf breit ist. Von Arica im Norden Chiles bis hier sind es mehr als 5000 Kilometer, von Santiago
gut 3000. Große Länder haben das, Orte, in die sie Gefangene abschieben können oder an die man verbannt werden kann, die chinesische T‘ang-Dichtung ist
voller Heimweh nach dem Hof und der Hauptstadt, und vielleicht ist es hier nicht anders. Die südlichste Stadt der Welt, sagen die Chilenen, aber eine
Tagesreise weiter kommt Ushuaia, und das liegt in Argentinien und, wie es aussieht, gut einen Grad weiter südlich.
Einer der Indianer am Magellan-Denkmal
Auf dem Hauptplatz von Punta Arenas eines dieser Standbilder, die in ihrer Unschuld eine pathetische Geschichte voller Widersprüchlichkeiten verkörpern sollen. Als erstes sieht man einen gigantischen Fuß. Küsse und Streicheln haben die Bronze in glänzendes Gold verwandelt, die Alchimie des Aberglaubens: Wer den übergroßen Fuß dieses Tehuelche-Indianers küßt, wird wiederkommen. Nur wird er dann keinen Tehuelche mehr vorfinden – von den ursprünglichen Bewohnern dieser Regionen haben lediglich einige überlebt. Der Besitzer des Fußes sieht stark genug aus, er sitzt grübelnd auf einem runden Bogen, das Bein mit diesem Fuß bis weit über den Rand gestreckt wie eine katholische Heiligenfigur, und er grübelt wohl zu Recht, denn genau über ihm (und über den drei Indianern anderer Stämme auf den anderen Seiten des Denkmals) steht der große Entdecker Fernando de Magallanes, der die Durchfahrt vom Atlantischen zum Pazifischen Ozean entdeckte und so der erste gewesen wäre, der die Welt umsegelte, wäre er nicht bei einem Gefecht in Asien ums Leben gekommen.
Mit fünf spanischen Schiffen war er, der Portugiese,von Spanien aus aufgebrochen. Die Ausmaße eines solchen Unternehmens werden wir wohl nie ganz erfassen können – es ist allenfalls mit der Raumfahrt zu vergleichen –, doch so gefährlich und lang ein Flug zum Mars auch sein mag, hier weiß man im Unterschied zu einer damaligen Expedition, wohin die Reise geht und wie lange sie dauern wird. Magelhaens (jeder schreibt seinen Namen anders) wußte im Grunde weder das eine noch das andere. Auf der Karte von Martin Waldseemüller aus dem Jahr 1507 hieß das, wohin er segeln wollte, schlichtweg die Neue Welt, und an der Küste, an der er schließlich landete, auf halber Höhe Patagoniens, war vor ihm noch nie ein Europäer gewesen. Seine eigenen Landsleute hatten kein Vertrauen zu ihm, doch Karl V. und Johanna die Wahnsinnige unterzeichneten am 22. März 1518 eine capitulación (und das bedeutet hier einen Vertrag) mit Magellan (wie wir ihn nennen), demzufolge dieser ein Fünftel von allem erhalten sollte, was »die neuen Länder« an Einkünften erbringen würden. Am 20. September 1519 ging er auf eine Reise, die von Schicksalsschlägen und Auseinandersetzungen geprägt sein sollte, auf der er aber doch die Durchfahrt entdecken sollte, die der arabische Kartograph Al-Chwarizmi bereits 833 in Bagdad auf einer Karte eingezeichnet hatte. Wie das möglich war, ist ein Rätsel, dessen Lösung ich nicht kenne.
Magellans Schiff war die Trinidad , die anderen waren die San Antonio unter dem Kommando von Juan de Cartagena, die Concepción unter Gaspar de Quesada, die Victoria unter Luis de Mendoza und die Santiago mit dem Kapitän Juan Serrano, eine katholische Invasion mit Hilfe von Dreifaltigkeit und Unbefleckter Empfängnis. Schon bald änderte Magellan den ursprünglichen Reiseplan, waszu Differenzen mit de Cartagena führte, der von Karl V. als veedor general eingesetzt worden war – also so etwas wie ein höherer Aufseher. Der autoritäre und sehr mißtrauische Magellan entzog ihm den Befehl über sein Schiff, was später zu
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