Schiffstagebuch
aussieht wie ein Schauspieler, der einen alten Minister geben soll, folgt meinem Blick und sagt: »Fueron todos presidentes, y todos murieron«, sie alle
waren Präsidenten, und alle sind gestorben, und ich erwidere: »Aber nicht auf die gleiche Weise.« Er macht eine flüchtige Handbewegung, ach, was soll‘s,
und versucht mir dann zu erklären, was das Wort locos bedeutet, das ich auf der Karte gesehen habe. Es steht bei den Fischgerichten, damit ist das
schon mal klar, aber in Spanien bedeutet locos einfach Verrückte, und es hilft mir nicht weiter, daß er immer nur auf seine Handfläche zeigt. Doch die offene Hand ist eine Muschel und ein loco (den ich später nicht im Wörterbuch finden kann) eine Art Abalone, die sich nicht in eine Dose hat sperren lassen.
Isla Negra, Chile. Das Grab Pablo Nerudas
Nerudas Bar
Am nächsten Morgen fahre ich durch eine dürre Landschaft zur chilenischen Küste. Antonio Skármeta, einst chilenischer Exilant in Berlin, danach mein Hausherr in dieser Stadt, später chilenischer Botschafter in Deutschland, ist wieder zu dem geworden, was er war, bevor er während der Pinochet-Diktatur flüchten mußte: Schriftsteller, und er hat dafür gesorgt, daß ich Nerudas Haus auf der Isla Negra, der schwarzen Insel, besuchen kann. Von ihm stammt Mit brennender Geduld , die Geschichte von Neruda und seinem Postboten, die durch den Film Il Postino mit Mastroianni berühmt wurde.
Der Ozean ist wild an diesem Tag, man sieht von dem Haus aus, das sehr viel Ähnlichkeit mit einem Schiff hat, die Brandung gegen die Felsen schlagen. Seekarten, Himmelsgloben, Galionsfiguren mit Brüsten für die Gischt, ein fliegender Engel aus dem dunkelsten Holz, Bilder Ilja Ehrenburgs, Baudelaires, Gedichte von Du Bellay, von Leopardi, von Dante, ein Schrank mit den übergroßen Kleidungsstücken des Dichters selbst, sein Nobelpreis-Smoking, seine mächtigen Schuhe, sein großkariertes Tweedjackett, ein Flur voller Masken, die Bar, in der er seine Freunde bediente, Cocktails mit Cointreau und Kognak, die Schürze, die er dabei trug und die niemand anfassen durfte, ein Reklamebild von Old Scotch Whisky, King George IV. mit Königsmantel und Strumpfband neben dem rennenden Johnny Walker, Krüge, Gläser, Flaschen,alles um eine Nummer größer als in der normalen Welt. Sein Grab unten im Garten gleicht einem Doppelbett, dort liegt er zusammen mit Matilde Urrutia, die ihn um zwölf Jahre überlebte, ganz in der Nähe zwei riesige Anker und auf dem Grab selbst ein großer Stein, es sieht aus, als habe jemand Angst gehabt, der Dichter wolle sich nachträglich noch davonmachen. Er starb zwölf Tage nach dem Putsch. In den letzten Tagen vor seinem Tod schrieb er hier an seiner Autobiographie Confieso que he vivido , Ich bekenne, ich habe gelebt. Es sind bittere Worte über die Welt, die sein Land verraten hat, indem es diesen Staatsstreich zuließ. Mit Gewalt wurde eine demokratisch gewählte Regierung vertrieben, die versucht hatte, endlich etwas Gerechtigkeit zu schaffen: »Die Version der Angreifer lautet: sein lebloser Körper wurde mit sichtlichen Zeichen des Selbstmords gefunden. Die im Ausland veröffentlichte Fassung lautet anders. Gleich nach dem Luftbombardement traten Panzerwagen in Aktion, viele Panzerwagen, um furchtlos gegen einen einzigen Mann zu kämpfen: den Präsidenten der Republik Chile, Salvador Allende, der sie in seinem Arbeitszimmer erwartete, ohne weitere Gesellschaft als sein großes Herz, umgeben von Rauch und Flammen.« Der unfriedliche Ozean hämmert gegen die Felsen, das Geräusch der Brandung muß, wie bei Chateaubriand in Saint-Malo, bis in beider mächtiges Grab dringen. Die schönste Liebesdichtung neben fatalen Oden an Stalin, dieser Mann spielte in einem fort auf der gewaltigen Orgel seiner Sprache, die halbe spanischsprachige Welt hat seine Gedichte gestohlen, um Liebesbriefe zu schreiben. Auf einer marmornen Gedenkplatte, die »die Spanier von der Winnipeg « für ihn errichtet haben, stehen seine eigenen Worte:
todos fueron entrando al barco
mi poesía en su lucha había logrado
encontrarles patria
y me sentí orgulloso
(alle kamen an Bord/meiner Poesie war es, durch ihren Kampf, gelungen,/ein Vaterland für sie zu finden/und ich war stolz darauf ). Während des Bürgerkriegs war es Neruda und seinen Freunden wie Diego Rivera gelungen, von Paris aus ein Schiff zu chartern, auf dem spanische Intellektuelle und Künstler der Rache des Franco-Regimes entkommen konnten. Es
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