Schiffstagebuch
fehlenden Unterkörper der jetzt wieder miteinander verbundenen Torsi in die großen Becken geleitet,
Wassernymphen, die auf einmal wieder Beine hatten und unter ihren runden Brüsten Krüge hielten, aus denen das Wasser in die Becken strömte. Ich setze mich
an den Beckenrand und betrachte die Frauen. In den fünfzig Jahren seit ihrer Entdeckung sind die steinernen Tücher um ihre Lenden durch das unaufhörlich
strömende Wasser mit Moos bewachsen. Ich studiere ihre Gesichter, jedes mit dem gleichen Ausdruck, Augen und Mund geschlossen, abwesend, als wären sie mit
den Gedanken woanders. In der Stille lausche ich dem Plätschern des Wassers. Als ich später aufstehe und mich von der Höhle entferne, ist es, als käme ich
in einen kleinen Regenwald, Palmen und große Farne beiderseits eines Pfads, der, bergauf und bergab, weiter in die Schlucht hineinführt. Ich begegne einem
Jungen, der im Spalt eines zerborstenen Felsblocks steht, ein umgestürztes Monument, dessen Verzierungen er mit einer Bürste säubert. Später sehe ich in
einer Nische zwei Buddhas, weiter unten einen Teich mit Seerosen, und als der Pfad wieder ansteigt, habe ich den Eindruck, ich könnte Stunden so weitergehen zwischen den Hügeln. Alles ist Fruchtbarkeit, Schwere, es riecht nach Morast oder Moschus, unter den hohen Bäumen tanzen fächelnde Licht- und Schattenflecken, mir ist, als sei ich erst jetzt angekommen.
Goa Gajah
Pura Besakih
Das ist natürlich Unsinn, doch jetzt, nachdem ich eine Woche hier bin, scheint es, als hätte ich meine eigene Existenz vorübergehend abgelegt, so wie man aus einem Mantel schlüpft. Sie ist irgendwo anders, und währenddessen streife ich hier umher in einem verzierten Vakuum. Ein Tag folgt auf den anderen, abends die Frau mit dem Buch, aus der Ferne Gamelanmusik, morgens das kleine Blumenopfer auf dem Weg nach draußen, die lautlosen Füße sind mit dem Frühstück gekommen, am Tor wartet Ketut und bringt mich nach Yeh Pulu mit seinen versteinerten Wajangfiguren als Rätseln in der Felswand entlang den Reisfeldern, nach Pura Besakih, der großen Tempelanlagemit ihren endlosen Treppen in den Hügeln unterhalb des heiligen Berges Gunung Agung. Ich gehe auf schmalen Deichen durch die sawahs zu wieder anderen Tempeln, betrachte das Spiegelbild von Palmen im stillen Wasser unter den grünen Reispflanzen, sehe, wie unter einem aus Schilf geflochtenen Vordach Mr. Buddha, woodcarver , eine Götterfigur aus frischem Holz schnitzt, das noch nach Holz duftet, höre Glocken und Stimmen von Priestern, die ihre Zeremonien vollziehen, versuche, die Bilder zu behalten, und weiß, daß es mir nicht gelingen wird, daß alles sich zu einer Erinnerung verdichten wird, die ich Bali nennen werde, lese abends, was ich gesehen habe, und sehe am nächsten Tag, was ich gelesen habe, Fabeln und Traumgeschichten, übersetzt von Wort in Stein und von Stein in Wort.
Legong
Am letzten Abend wird ein Legong-Tanz im Ancak Saji Ubud Palace Court aufgeführt. Die Musik habe ich bereits an anderen Abenden von fern gehört, es klang wie eine ewig währende Wiederholung, ein Klingklang und Singen von Holz und Metall, untermalt von den dunkleren Lauten schwerer Trommeln oder Gongs, darüber ein hohes Flöten, das in Kreisen durch die Nacht zu schweben schien. Ich sitze hinter den Musikern, die wiederum hinter ihren Instrumenten einer zweiten Gruppe auf der anderen Seite der Tanzfläche gegenüberhocken. Die Musik, die keinen Anfang und kein Ende zu haben scheint, zieht Kreise um uns, man denkt an Steve Reich oder Philip Glass, doch jeder Versuch einer Beschreibung oder Analyseverfliegt, was man hört, sind ineinanderfließende Rhythmen, manchmal ganz kurz eine abrupte Stille, dann ein Spiel fast unmerklich ansteigender und absinkender Klänge, worauf alles wieder von vorn beginnt. Man weiß, daß diese Musik auf Zählen basiert, das so natürlich geworden ist wie Atmen, Zählen, das gleich in den Rhythmus der Tänze übergehen wird, in eine Geometrie in den Raum gezeichneter Gebärden, Hände, Füße und Arme zu Positionen verbogen, die ihre je eigene Bedeutung haben. Man sieht den jungen Frauen zu, die den Tanz aufführen, sieht ihren goldenen Kopfputz, den Brokat ihrer Kleidung, die skulptierten Formen, die ihre Finger in der Luft annehmen, die großen Augen, die sich manchmal jedes für sich und entgegen der Kopfrichtung zu bewegen scheinen. Es sind Fragmente, die man wahrnimmt, eine Auswahl für den Fremden, doch das
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