Schimmer (German Edition)
mit der Frau eines Predigers irgendwohin zu fahren, wenn ich Stimmen in meinem Kopf hörte. Fish hatte Recht gehabt, ich durfte heute nicht in der Kirche sein. Ich musste hier weg, und zwar auf der Stelle. Ich musste Poppa finden und ich musste meinen Schimmer anwenden, um ihn aufzuwecken. Mehr nicht.
Ich ging geradewegs auf die Flügeltür der Kirche zu. Im Gemeindesaal hörte ich Tumult und Tamtam, und ich war mir sicher, Ashley Bing kichern zu hören und dann Emma Flint, die ihr nachgluckste. Ich sah, wie zwei Jungs aus Samsons Sonntagsschule mit kuchenverschmiertem Mund an mir vorbeiliefen. Die Party hatte ohne mich angefangen. Und so würde sie wohl auch enden müssen.
Ich ging aus der Kirche und war wild entschlossen, notfalls den ganzen Weg nach Salina zu rennen. Will junior ging mir nach und trat mir fast auf die Hacken.
»Hey, nicht so schnell, Mibs! Warte auf mich!«
Als wir zum Parkplatz kamen, schaute ich mich um. Ein paar Kinder spielten auf dem Rasen, aber die meisten waren jetzt in der Kirche. Fishs Sturmwolke lauerte über der Kirche und drohte mit Regen.
Ich ging an einem Auto nach dem anderen vorbei zur Straße. Vor dem rosa Heartland-Bibelbus blieb ich stehen. Wieder hatte ich das säuselnde Geflüster in den Ohren, ganz leise, ich sah Bobbi, die allein am Bus lehnte, und die Art, wie sie ihren Kaugummi kaute und Blasen zerplatzen ließ, hatte etwas Abweisendes, Rebellisches. Sie war wohl wirklich ziemlich rebellisch, mit dem Augenbrauenpiercing und dem Tattoo, und vielleicht hatte der kleine Engel mit dem Teufelsschwanz ja Recht: In diesem Moment sah Bobbi einsamer aus, als ich es bei einem Mädchen wie ihr für möglich gehalten hätte.
Ich versuchte das Flüstern in meinem Kopf zu ignorieren, und da fiel mein Blick auf die Schrift auf dem Bus. Das Schwarz der großen Buchstaben von Heartland-Bibel-Lieferdienst blätterte ab, darunter war Rosa und darunter das ursprüngliche Schulbusorange. Eine Zeile tiefer standen in kleineren schwarzen Buchstaben Adresse und Telefonnummer der Firma. Ich stutzte, ich konnte mein Glück nicht fassen. Der Bus des Heartland-Bibel-Lieferdiensts kam ausgerechnet aus Salina, Kansas, so stand es da schwarz auf Rosa. Und ich dachte mir, wenn der Bus aus Salina gekommen ist, dann muss er auch wieder nach Salina zurück. Vielleicht ruhte Gottes Auge ja doch auf mir.
Mit einem schnellen Dankeschön gen Himmel ging ich an Bobbi und ihrem großen rosa Kaugummi vorbei, ich fuhr mit dem Finger über den kühlen rosa Stahl des Busses und machte einen sauberen Strich im Staub unter das Wort Salina, als hätte ich soeben einen Vertrag unterzeichnet.
Will junior, der mir immer noch auf dem Fuß folgte, zog die Augenbrauen hoch, als er die unterstrichenen Buchstaben auf dem Bus sah. Doch er sagte nichts, als ich an Bobbi vorbeilief, auf die erste Stufe des Busses stieg und einfach hineinging.
Wie daneben ich gestern gelegen hatte, als ich dachte, ich würde lange nicht mehr Bus fahren; ich achtete nicht auf Mommas Stimme in meinem Kopf, die mir sagte, ich solle nie bei Fremden einsteigen, und auch nicht auf Poppas Stimme, die mir sagte, ich sollte immer einem Erwachsenen Bescheid geben, wo ich war, damit mir nichts zustieß. Und ich versuchte mit aller Kraft nicht auf die Stimme von Bobbis Engel in meinem Kopf zu achten. Aber das war sehr viel schwieriger.
»Sie fragt sich, ob es dir gutgeht.«
»Hey, Geburtstagsgör, was hast du denn da vor?«, sagte Bobbi ohne jede Spur von Besorgnis in der Stimme. Der Engel schien Bobbi nicht besonders gut zu kennen.
»Verzieh dich, Bobbi«, sagte Will junior und verblüffte damit sowohl seine Schwester als auch mich. »Lass uns in Ruhe, sonst erzähle ich Mutter und Vater, dass du eine Vier in der Chemieklausur hattest.« Er hatte die Hände an beiden Seiten der Bustür und einen Fuß auf der ersten Stufe, als wollte er mir direkt hinterhergehen.
Bobbi verdrehte die Augen, als wäre sie von einem Anfänger bedroht worden. »Das kriegen die sowieso raus«, sagte sie und schnaubte verächtlich. »Und es wird sie garantiert nicht überraschen.«
»Na gut«, sagte Will. »Dann erzähl ich eben, dass du immer die Schulsekretärin anrufst und dich für Mutter ausgibst, wenn du blaumachst.«
»Glaubst du etwa, das macht mir was aus?«, sagte Bobbi.
»Und ob es ihr etwas ausmacht«, sagte die Stimme hinterlistig, und ich stellte mir den kleinen Engel vor, wie er mit dem
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