Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schimmer (German Edition)

Schimmer (German Edition)

Titel: Schimmer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
Vom Netzwerk:
den Boden und war immer noch überzeugt, dass der Bus jeden Moment wenden und zurück nach Salina fahren würde. Ich nahm die Knie fest an die Brust und zog den weichen gelben Rock bis zu den Knöcheln hinunter, die große lila Blume kitzelte mich an der Wange, als wollte sie mich zum Lächeln bringen. Will junior setzte sich neben mich auf den Boden, obwohl seine Hose davon schmutzig wurde. Er hatte das geschenkverpackte Schreibset im Schoß und er saß so, dass seine Hand meine gerade eben nicht berührte.  
    Während der Bus immer weiterrumpelte, weg von Kansas und Poppa in seinem Krankenhausbett und Momma und Rocket in ihrem Motel mit den weißen Seifen und Handtüchern, hatte ich das geheime Geplapper von Bobbis Engel im Kopf. Ich versuchte es zu ignorieren, so zu tun, als ob ich es nicht hörte.
    Ich erinnerte mich an einen Verrückten, den ich mal gesehen hatte, als wir im Süden des Landes lebten, einen Mann, der auf dem Gehweg in der Innenstadt durch die Menge ging und Selbstgespräche führte; er redete und schlug sich seitlich an den Kopf, als wollte er etwas zur anderen Seite hinausschlagen. Als ob er eine Fliege im Ohr hätte – oder als ob er Stimmen hörte. Ich fragte mich, ob ich so enden würde. Es ist nur der Stress, sagte ich mir, Stress wegen der Sorge um Poppa und weil ich meinen Schimmer ausfindig machen und ans Laufen kriegen musste. Wenn man gestresst war, konnte das Gehirn schon mal Kapriolen schlagen.  
    Ich versuchte das summende Säuseln des Engels ebenso zu überhören wie das Getuschel von Ashley und Emma und all den anderen in der Schule, gestern und alle Tage davor, jeden Tag, seit wir nach Kansaska-Nebransas gezogen waren. Aber als ich die Stimme in den Hinterkopf schob, so wie ich Krümel unter den Ofen fegte, wenn Momma nicht hinsah, merkte ich, dass unter der Stimme des Engels, unter dem Dröhnen des Busses und dem Rascheln der Kisten die zankenden Frauen aus Pastor Meeks’ Büro wiederauftauchten. Carlene und Rhonda waren wieder da – und sie stritten immer noch.  
    »Der Mann kann noch nicht mal das bisschen Grips benutzen, das Gott ihm gab. Kriegt noch nicht mal eine vernünftige Lieferung hin. Kann es so schwer sein, eine Kiste Bibeln zuzustellen?«, sagte Carlene mit ihrer tiefen, rauen Stimme.  
    »Kaffee verkaufen ist einfacher. Das hätte er machen sollen«, blaffte die ältere Stimme, die von Rhonda, zurück. »Du hast nie richtig verstanden, was mein Junge braucht. Es ist mir ein Rätsel, was er je an dir gefunden hat.«   
    Es klang so, als ob die Stimmen über eine Sprechanlage, die direkt mit meinem Gehirn verbunden war, aus dem vorderen Teil des Busses zu mir drängten. Ich wusste, dass außer uns nur der Bote in den Bus gestiegen war, und ich war mir ziemlich sicher, dass niemand hören konnte, was ich hörte.  
    Ich ließ die Stirn auf die Knie sinken, schaukelte den Kopf hin und her und versuchte mich auf das zartgelbe Gewebe meines Festtagskleids zu konzentrieren, versuchte nicht auf die zänkischen Zicken zu hören, die nicht aufhörten, einander die Schuld an der misslichen Lage des Boten zuzuschieben.  
    Ich hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging, während der Bus über den Highway donnerte. Es kam mir vor wie Stunden. Durch die Fenster über mir sah ich den Himmel vorbeiziehen, sah eine endlose Parade von Telegrafenmasten ticktackticktack vorbeifliegen. Silos und Wassertürme markierten die Entfernungen zwischen den Orten am Highway, aber jedes Mal, wenn ich mich aufrichtete, um hinauszuschauen, sah ich nur die scheinbar endlose, schlafende Landschaft – ein Feld nach dem anderen mit den toten braunen Maisstängeln des letzten Sommers und Reihen lebloser Gerippe von Bewässerungsanlagen, alle darauf wartend, dass die Erde zum Frühling erwachte und um einen Schluck Wasser bat.  
    Als die Sonne sich am späten Nachmittag neigte, lange und leuchtend zum Fenster hereinschien, und die Bibelkisten große rechteckige Schatten warfen, schlief mir allmählich der Hintern ein und ich bekam einen Krampf im Bein.  
    Ungefähr zur selben Zeit fing Bobbi an sich zu langweilen. Mit einem fiesen Grinsen hob sie einen Fuß und stieß Fish mit einem Tritt vom Fußende des Feldbetts. Seine Wut flammte auf, sein Gesicht verzerrte sich; er war so angespannt und gereizt, dass er seinen Schimmer nicht im Griff hatte und explodierte.  
    Zeitschriften flatterten in einem wüsten Durcheinander auf, ein Schwarm gelbgefiederter Vögel, gefangen im Aufwind

Weitere Kostenlose Bücher