Schismatrix
darauf hinweisen, daß es bestimmte Beschränkungen für deine Aktivitäten gibt, die du akzeptieren mußt. Ist dir der Grundsatz der Bürgerlichen Rechte vertraut?«
Lindsay blieb vorsichtig. »In welchem Zusammenhang?«
»Zaibatsu erkennt ein Bürgerrecht an: das Recht auf den Tod. Du kannst dieses Recht jederzeit und unter allen Umständen beanspruchen. Es genügt, es einfach zu verlangen. Unsere Audiomonitoren befinden sich überall im Zaibatsu. Wenn du dein Bürgerrecht beanspruchen willst, wirst du unmittelbar und schmerzlos terminiert. Ist dir das klar?«
»Es ist mir klar«, sagte Lindsay.
»Die zwangsweise Lebensterminierung wird bei bestimmten anderen Verhaltensweisen verfügt«, sprach die Kamera weiter. »Wenn du eine materielle, physische Bedrohung für das Habitat darstellst, wirst du getötet. Wenn du unsere Monitorsysteme störst, wirst du getötet. Wenn du die Sterilisationszone überschreitest, wirst du getötet. Ferner wirst du getötet, wenn du ein Verbrechen gegen die Menschheit begehst.«
»Verbrechen gegen die Menschheit?« sagte Lindsay. »Welche Definitionen liegen dem zugrunde?«
»Es handelt sich dabei um biologische und prothetische Bestrebungen, die wir für pervers und abweichlerisch erklärt haben. Exakte Information bezüglich unserer Toleranzgrenzen in dieser Hinsicht unterliegt der Geheimhaltung.«
»Verstehe«, sagte Lindsay. Damit hatten sie, soviel begriff er, carte blanche und konnten ihn jederzeit und mit nahezu jeder Begründung töten. Doch damit hatte er gerechnet. Diese Welt war eine Freistatt für Sundogs , für vom Sonnenstich getroffene Irre: Abtrünnige, Verräter, Verbannte, Gesetzesbrecher und lustige Outlaws. Er bezweifelte, daß eine Welt voller Sundogs auf andere Weise funktionieren konnte. Es gab einfach viel zu viele fremde Technologien, die sich frei im zirkumsolaren Raum herumtrieben. Hunderte, allem Anschein nach harmlos-unschuldiger Tätigkeiten - sogar die Züchtung von Schmetterlingsmotten - konnten sich als potentiell tödlich erweisen.
Wir sind allesamt Verbrecher, dachte Lindsay.
»Wünschst du dein Bürgerliches Recht in Anspruch zu nehmen?«
»Nein, danke«, sagte Lindsay höflich. »Aber es ist eine sehr große Beruhigung für mich, daß die Zaibatsu-Regierung mir freundlicherweise dieses Recht zugesteht. Ich werde eure Großzügigkeit nicht vergessen.«
»Du brauchst nur zu rufen«, sagte die Kamera mit spürbarer Selbstzufriedenheit.
Das Interview war beendet. Schwerelos taumelnd streifte Lindsay sich die Biomonitoren ab. Die Kamera überreichte ihm eine Kreditkarte und den standardisierten Zaibatsu-Coverall.
Er kletterte in den sackartigen Anzug. Er war allein in die Verbannung gegangen. Auch Constantine hatte unter Anklage gestanden, aber der war - wie bei ihm üblich - zu schlau gewesen. Über fünfzehn Jahre hinweg war Constantine sein engster Freund gewesen. Lindsays Familie hatte die Freundschaft mit einem Plebejer nasenrümpfend mißbilligt, aber er hatte ihnen kühn die Stirn geboten.
In jenen Tagen hatten die Clans-Ältesten sich der Hoffnung hingegeben, daß es ihnen möglich sein werde, zwischen den miteinander wetteifernden Supermächten eine bequeme, zaunhockerische Neutralität bewahren zu können. Sie waren geneigt gewesen, den Shapers Vertrauen entgegenzubringen, und so hatten sie Lindsay zum RC, dem »Ring Council« entsandt, damit er dort zum Diplomaten ausgebildet werde. Und zwei Jahre später hatten sie Constantine gleichfalls delegiert, und zwar für ein Studium in Biotechnologie.
Jedoch hatten dann die Mechanisten die Republik überwältigt, und Lindsay und Constantine wurden zu »unerwünschten Personen« und zu unangenehmen Erinnerungen an eine verfehlte Außenpolitik. Dies brachte sie aber einander nur noch näher und schweißte sie zusammen, und ihr verdoppelter Einfluß zeitigte eine geradezu ansteckende Wirkung unter den Plebejern und den jüngeren Aristos. Gemeinsam waren sie eine beachtliche und furchteinflößende Potenz. Constantine mit seinen geschmeidig verdeckten Langzeitplänen und seiner stählernen Entschlossenheit; und Lindsay, als Frontmann und Aushängeschild, brachte seine geschmeidige Überzeugungsfähigkeit und seine publikumswirksame Eleganz ein.
Dann aber war Vera Kelland zwischen die Freunde getreten. Vera: die Artistin, Actrice und Aristokratin, die erste Märtyrerin der Konservationistenbewegung. Vera glaubte an die Sache; sie war die Muse der Bewegung, und sie klammerte sich an ihre
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