Schismatrix
achtziger Jahre verbittert in den Haaren gelegen hatten, nur um dann ineinander überzugehen und die neue treibende Kraft der Science Fiction zu bilden, die keine starken Trennstriche mehr zwischen den Vertretern bestimmter literarischer Richtungen zuläßt. (Humanisten könnte man ein wenig verkürzt als zeitgenössische SF-Autoren bezeichnen, die genauso ehrgeizig sind wie die einstigen Cyberpunks, aber weniger Gruppengeist und eine nicht so aufrührerische Rhetorik haben.) Diese Situation ist durchaus vergleichbar mit der New Wave der sechziger Jahre, die sich ebenfalls innerhalb kürzester Zeit selbst verzehrte, um einer neuen Richtung der Science Fiction den Weg zu ebnen, die man vielleicht gleichermaßen politisch wie stilistisch orientiert nennen könnte. Der wesentliche Unterschied besteht jedoch darin, daß die Vertreter des Cyberpunk sich von den Fortschritten in Wissenschaft und Technik nicht im geringsten abgestoßen fühlen.
Kreativität ist ihr Schlagwort, Kreativität vor allem im Umgang mit den neuen Möglichkeiten, die uns die Informationsgesellschaft von heute in die Hand gibt. Das drückt sich außer in Sterlings Romanen und seinem Mechanisten/Former-Zyklus auch in einer Anzahl Erzählungen aus, die seit Mitte der achtziger Jahre erschienen sind und Sterling auf der Höhe seiner Schreibkunst zeigen. Herausragend unter ihnen ist »Flowers of Edo« (1987), eine in der frühen Meidschi-Periode Tokios vor der Jahrhundertwende angesiedelten Geschichte, deren Erstveröffentlichung konsequenterweise auch in einem japanischen SF-Magazin erfolgte. Die damals durchgeführten kaiserlichen Reformen sollten den Anschluß Japans an die Entwicklung der modernen europäischen Industrienationen sichern. Zu den Protagonisten zählen ein KabukiTheaterschauspieler, ein ehemaliger Samurai und Yoshitoshi Taiso, einer der besten japanischen Holzschnittkünstler, die gegen den Dämon des Fortschritts und der fremdländischen Invasion ankämpfen. Sterlings Wissen über die Herstellungsverfahren dieser Kunstform zu jener Zeit ist beeindruckend, ebenso wie die Vielzahl der Details über das Japan der Meidschi-Ära. Aber auch Texte wie »Green Days in Brunei« (1985), die Geschichte eines kanadischen Ingenieurs, der in den Sümpfen von Brunei darum kämpft, einen Vertrag zur Modernisierung einer Industrieanlage zu erfüllen, und »The Beautiful and the Sublime« (1986), die als viktorianische Liebesgeschichte angelegt und in Briefform verfaßt ist, zeigen Sterling als großartigen Stilisten mit der Neigung, ungewöhnliche Zutaten zu einer ausgefeilten Szenerie zu verbinden. Stets zeichnen sich seine Arbeiten dabei durch hervorragende Recherchen aus, ob in »Dinner in Audoghast« (1985), das von einem Gastmahl der sinnesfrohen Levantiner erzählt, der Bewohner der Länder des östlichen Mittelmeerraumes, denen ein blinder Seher ihren Untergang prophezeit, oder in »Our Neural Chernobyl« (1988), einer im Stil des von Sterling sehr verehrten Stanislaw Lern verfaßten fiktiven Buchkritik über eine Virenseuche, die von der Aids-Forschung ausgelöst wurde, wobei Tschernobyl dem Autor als Metapher für die »letztendliche Dummheitsbarriere« dient. In letzter Zeit, nach Abschluß seines Mechanisten/Former-Zyklus, kommt Sterling allerdings immer wieder - ähnlich wie William Gibson in seinem dritten Cyberspace-Roman Mona Lisa Overdrive (dt. Mona Lisa Overdrive , Heyne SF & Fantasy, in Vorb., München 1989) - auf viktorianische Weltentwürfe zurück, ein Umstand, den auch seine Kurzgeschichte »The Little Magic Shop« (1987) belegt. Überdies hat Sterling eine Schwäche dafür, mit anderen Autoren zusammenzuarbeiten. Dies zeigen nicht nur seine mit William Gibson beziehungsweise Rudy Rucker entstandenen Erzählungen »Red Star, Winter Orbit« (1983) und »Storming the Cosmos«, sondern auch seine Pläne für die Zukunft. Bereits abgeschlossen ist sein neuer Roman The Difference Engine (1989), der in gemeinsamer Arbeit mit Gibson entstand und einen dampfbetriebenen Computer zum Thema hat, der mitten im Viktorianischen England eine technische und soziale Revolution auslöst. Gespannt sein darf man auch auf ein unter dem Titel Amy Joyce angekündigtes Buch, das Sterling zusammen mit seiner Frau Nancy Baxter schreibt.
Bruce Sterling verkörpert wie niemand sonst den CyberpunkAutoren par excellence. Seine zahlreichen Manifeste und Artikel, die seit Anfang der achtziger Jahre vorwiegend unter dem Pseudonym Vincent Omniaveritas
Weitere Kostenlose Bücher