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Schismatrix

Schismatrix

Titel: Schismatrix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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ihm sogar gestatten, seine Arbeit dem »Museum« zu überreichen. Und er hatte die Gelegenheit benutzt, um wenigstens für eine kurze Weile seinem Hausarrest zu entrinnen.
    Das »Museum« nämlich war eine Brutstätte der Subversion. Es wimmelte dort von Lindsays Freunden, den »Konservationisten«, wie sie sich nannten. Eine reaktionäre Jugendbewegung mit romantisch-gefühligen Verhaftungen an die Kunst und Kultur der Vergangenheit. Und das Museum hatten sie zu ihrer politischen Festung umfunktioniert.
    Die Welt, auf der, oder vielmehr, in der sie lebten, war die MSCCR (»Mare Serenitatis Circumlunar Corporate Republic«), ein zweihundert Jahre altes künstliches Satelliten-Habitat in Umlaufbahn um den Terra-Mond. Und da es sich dabei um einen der ältesten Nationalstaaten der Menschheit im Weltraum handelte, war es ein traditionsgeschwängerter Ort voller alteingefahrener bodenständiger Kulturtraditionen.
    Dennoch war die Veränderung über diese Welt hereingebrochen, sie hatte sich wie Sporen von den jüngeren, stärkeren Welten im Asteroidengürtel und in den Saturn-Ringen her ausgebreitet. Die »Mechanisten«- und »Shaper«-Supermächte hatten ihren Krieg in diesen friedlich-stillen Stadtstaat exportiert. Die Spannung hatte zur Aufsplitterung der Bevölkerung in feindliche Parteien geführt: die »Konservaten«, zu denen Lindsay gehörte, gegen die »Radikalen Alten«, kurz: aufmuckende revolutionssüchtige Plebejer gegen die wohlhabenden Aristos.
    Sympathisanten des »mechanistischen« Systems hielten in der Republik das Heft in der Hand.
    Die Altradikalen übten von ihren Regierungskrankenhäusern her die Macht aus. Diese hochbetagten Aristokraten (jeder davon mindestens ein Jahrhundert alt) waren aus der progressivsten prothetischen Mechano-Hardware zusammengeflickt und ihre Lebenserwartung durch eben diese importierte Ersatzteil-Technologie gesteigert. Allerdings trieben die medizinischen Versorgungskosten die Republik in den volkswirtschaftlichen Ruin. Das Land war gegenüber den Medico-Kartellen der Mech-Welten bereits hochverschuldet. Und die »Republik« würde in kurzer Zeit ein von den Mechanos abhängiger quasi-kolonialer Satellitenstaat sein. Die Shapers hingegen setzten ihr eigenes Verführungspotential ein. Vor Jahren bereits hatten sie Lindsay und Constantine ausgebildet und indoktriniert. Und über diese beiden Kampfgenossen und Freunde, die Führer ihrer Generation, hatten die Shaper die Möglichkeit gewonnen, sich den Zorn der Jugend zunutze zu machen, die erkannte, wie man ihr das angestammte Recht vorenthielt, damit die Mechanisten Profite machen könnten.
    Die Spannung in der Republik war bis zu einem solchen Grade angestiegen, daß eine kleine Beiläufigkeit zur Explosion führen konnte. Der strittige Punkt hieß: Leben. Und den beweiskräftigen Schlusspunkt sollte der Tod setzen.
    Lindsays Erhabener Onkel schnaufte heftig. Er tippte auf seinen Armbandmonitor und senkte seine Herzfrequenz. »Keine weiteren Eskapaden mehr«, sagte er. »Man wartet im Museum auf dich.« Er runzelte die Stirn. »Und denk daran, keinerlei extempore Ansprachen. Halte dich an das vorbereitete Skript.«
    Lindsay starrte noch immer nach oben. Der Ultraleichtflieger mit den Vogelschwingenmustern setzte zu einem heftigen Sturzflug an.
    »Nein!« schrie Lindsay. Er warf sein Buch weg und begann zu rennen.
    Das superleichte Aerocycle krachte außerhalb der steinernen Sitzreihen eines Open-Air-Theaters ins Gras.
    Der Flieger lag mit zierlich zerschmetterten verdrehten Schwingen auf dem Boden. »Vera!« brüllte Lindsay.
    Er zerrte sie aus dem zerknautschten Wrack. Sie atmete noch; aus Mund und Nase schoß pulsierend das Blut. Ihre Rippen waren gebrochen. Sie röchelte, als ersticke sie. Lindsay zerrte an dem ringförmigen Halskragen ihres Konservisten-Dress. Der Draht im Kragen zerschnitt ihm die Hände. Der Dress war nach dem Muster von Astronautenanzügen gestylt; die Harmonikafalten an den Ellbogen waren zerquetscht und fleckig.
    Aus dem hohen Gras stiegen kleine weiße Mottenfalter auf. Sie kreisten umher, als würden sie vom Blut angezogen.
    Lindsay wischte einen Falter von ihren Lippen und preßte seinen Mund auf den ihren. Der Puls an ihrem Hals brach abrupt ab. Sie war tot. »Vera«, stöhnte er. »Liebstes! Sie haben dich reingelegt ...«
    Ein Schwall von Trauer und Hochgefühl schoß über ihn hinweg. Er fiel in das sonnenwarme Gras, schlang die eigenen Arme um sich. Weitere Mottenfalter wirbelten

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