Schizophrenie ist scheiße, Mama!: Vom Leben mit meiner psychisch erkrankten Tochter (German Edition)
Gäste setzen!« Professionell und pflichtbewusst ist sie also auch. Das Café Sonnenblume ist ein gemeinnütziger Verein, in dem Menschen mit Psychiatrieerfahrung arbeiten können, bis sie sich wieder stabil genug für den regulären Arbeitsmarkt fühlen. Ihre Arbeit macht ihr nicht nur Spaß, sondern sie lernt auch, sich mit Menschen, die eine ähnliche Krankheitserfahrung haben, auseinanderzusetzen. Eine Zeitlang ist Heidi ein Dauerthema bei uns. Heidi mischt sich in alles ein, Heidi kassiert bei Gästen, die zu Lenas Bereich gehören. Heidi hält sich an keine Abmachungen und hört nicht zu. »Ich habe ihr schon mehrfach erklärt, warum das nicht geht, aber sie redet ständig weiter und hört überhaupt nicht zu. Sie ist dauernd schlecht gelaunt und läuft mit einem langen Gesicht herum. Und sie fängt immer wieder mit dem Gleichen an, egal was man ihr sagt. Der Koch hat es auch schon versucht, aber sie hört nicht zu …« Und dann merkt Lena plötzlich, welches Verhalten sie beschreibt. »Jetzt verstehe ich plötzlich, wie es dir manchmal mit mir gegangen sein muss. Das war bestimmt oft nicht schön für dich.« Sie guckt nachdenklich und ein bisschen verlegen. Nein, das war nicht immer schön für mich, aber was macht das jetzt noch, wenn ich Lena glücklich ihr Lammfilet durch das Café tragen sehe, und die Gäste sie anlachen?
Nach einigen Monaten im Café meldet sich Lenas Unternehmungslust zurück. »Ich habe mich wieder bei meinem alten Arbeitgeber beworben, Mami, wie findest du das? Sie haben sich gefreut, mich wiederzusehen. Nächste Woche muss ich zu einem Test, die suchen wieder Mitarbeiterinnen.« Mein Adrenalinspiegel steigt. Wenn sie durch die Prüfung fällt, erleidet sie vielleicht einen Rückfall. Ich versuche sie davon abzubringen, aber sie besteht darauf, es sei schließlich ihre Entscheidung. Am Tag X sitze ich angespannt zu Hause und warte darauf, wieder einmal eine schluchzende Lena trösten zu müssen, die mir berichtet, dass sie es nicht geschafft hat. Um vier Uhr klingelt das Telefon. »Alles klar, Mama.« Im Hintergrund U-Bahn-Geräusche und Gelächter. »Was ist denn jetzt? Geht es dir gut«, frage ich ängstlich. »Aber klar, das ist prima gelaufen, am Montag kann ich anfangen.« Ich atme tief durch. »Ich wollte dir nur schnell Bescheid sagen, weil du dir doch immer so viel Sorgen machst meinetwegen. Das brauchst du nicht. Mir geht es prima, wir gehen jetzt noch alle zusammen etwas trinken.« So ändern sich die Rollen. Lena beruhigt mich .
Letztlich sagt sie der Firma wieder ab, und ich bin darüber nicht traurig. Dieser Job war auf die Dauer nicht das Richtige für sie, und Lena wird in dieser Einschätzung auch von ihren Freundinnen bestärkt. In den nächsten Wochen bewirbt sich Lena in mehreren Cafés, weil sie mehr Geld verdienen will. Ich glaube, dass sie ausprobieren möchte, ob sie ohne das Sicherungsnetz selbst einen Arbeitsplatz finden kann. Sie muss mehrere Probetage arbeiten und bekommt von allen drei Restaurants eine Zusage. »Die Kollegen haben gesagt, sie freuen sich auf mich, ich sei so eine nette Kollegin, obwohl ich immer noch keine drei Teller auf den Armen tragen kann.« Es ist eine Bestätigung für sie, und das tut ihr gut. Wieder eine Woche später sagt sie die Angebote ab, sie hätte gemerkt, dass es doch zu viel Stress für sie gewesen wäre. Sie habe sich überlegt, dass sie jetzt erst mal den Teilzeitjob im Café Sonnenblume weitermacht, das wäre dann auch besser mit der Schule zu vereinbaren, in der sie ab nächstem Jahr ihr Abitur nachholen wolle. Ich freue mich, dass Lena jetzt selbst auf sich achten kann. Und außerdem, fügt sie strahlend hinzu, will ich jetzt auch etwas für mein Äußeres tun, wieder etwas Sport machen und mich wieder besser anziehen. Und mit ihrer Freundin will sie auch mal wieder auf Konzerte und Partys gehen. Wie fändest du es, wenn ich mich ab jetzt nur noch schwarz anziehe? Mit Perlenohrringen? Und dann will ich mich auch endlich mal wieder verlieben. Wie findest du eigentlich den Namen Harry?
Psychisch Kranke sind Experten aus Erfahrung – wir Angehörige aber auch!
Heute herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass nicht nur Psychiater und Therapeuten, sondern auch die Patienten selbst Experten sind, Experten aus Erfahrung. Ich halte es für eine gute Entwicklung, dass die Erfahrungen und das Wissen von psychisch Kranken ernst genommen werden. Aber ich habe noch nie gelesen oder gehört, dass auch wir Angehörige als
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