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Schlaf

Titel: Schlaf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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legte ich das Buch zur Seite und bereitete das Mittagessen für meinen Mann. Wenn er um kurz vor eins wieder ging, stieg ich in meinen Wagen und fuhr zum Schwimmen. Seit ich nicht mehr schlafen konnte, schwamm ich jeden Tag eine Stunde. Dreißig Minuten reichten nicht aus. Ich konzentrierte mich vollkommen aufs Schwimmen. Ich dachte an nichts anderes als daran, meinen Körper möglichst effektiv zu bewegen, ich atmete ganz regelmäßig ein und aus. Wenn ich einen Bekannten traf, sprach ich kaum etwas und tauschte nur kurze Grußworte aus. Wurde ich von jemandem eingeladen, lehnte ich mit der Entschuldigung ab, dass ich dringend etwas zu erledigen hätte. Ich wollte mit niemandem etwas zu tun haben. Ich hatte keine Zeit für sinnloses Gerede. Nachdem ich mich beim Schwimmen verausgabt hatte, wollte ich sofort nach Hause zurück und mein Buch lesen.
    Ich kaufte pflichtgemäß ein, kochte, putzte und spielte mit meinem Sohn. Ich schlief pflichtgemäß mit meinem Mann. Erst einmal daran gewöhnt, war es gar nicht weiter schwierig. Im Gegenteil, es war einfach. Ich brauchte nur die Verbindung zwischen Kopf und Körper zu kappen. Während mein Körper ganz von selbst funktionierte, schwebte mein Geist in seinen eigenen Sphären. Ich erledigte die Hausarbeiten ohne einen einzigen Gedanken. Ich machte meinem Sohn nachmittags etwas Kleines zu essen und plauderte mit meinem Mann.
    Seit ich nicht mehr schlief, empfand ich die Realität als extrem einfach. Sie lässt sich ganz einfach meistern. Es ist einfach Realität. Einfach Hausarbeit, einfach Familie. So wie man eine simple Maschine in Gang setzt: Kann man sie einmal bedienen, ist der Rest nur noch Wiederholung. Man drückt auf diesen Knopf hier und zieht an jenem Hebel. Man wählt das Programm, schließt den Deckel und stellt den Timer. Bloß Wiederholung.
    Natürlich gab es manchmal Variationen. Meine Schwiegermutter kam zum Abendessen. Am Sonntag gingen wir zu dritt in den Zoo. Oder mein Sohn hatte fürchterlichen Durchfall.
    Aber keins dieser Ereignisse brachte meine Existenz ins Wanken. Wie ein lautloser Wind strichen sie an mir vorbei. Ich plauderte mit meiner Schwiegermutter, kochte Abendessen für vier, machte ein Foto vor dem Bärenkäfig, wärmte den Bauch meines Sohnes und verabreichte ihm eine Arznei.
    Niemand bemerkte, dass ich mich verändert hatte. Dass ich ganz und gar aufgehört hatte zu schlafen, dass ich unentwegt Bücher las, dass sich mein Kopf mehrere hundert Jahre und mehrere tausend Kilometer von der Realität entfernt hatte. Ich mochte noch so pflichtgemäß und mechanisch, so ohne jede Liebe und jedes Gefühl den alltäglichen Anforderungen nachkommen, mein Mann, mein Sohn und meine Schwiegermutter begegneten mir wie immer. Ja, sie schienen mir gegenüber sogar entspannter zu sein als sonst.
    So verging eine Woche.
    Mit Beginn der zweiten Woche meines permanenten Wachzustands bekam ich Angst. Es war einfach nicht normal. Menschen müssen schlafen, es gibt keine Menschen ohne Schlaf. Ich hatte einmal irgendwo etwas über eine Folter gelesen, bei der man Menschen am Schlafen hinderte. Eine Folter der Nazis. Sie sperrten ihre Opfer in einen kleinen Raum, fixierten deren Augenlider und blendeten sie die ganze Zeit über mit Lampen, sodass sie nicht schlafen konnten, dazu machten sie unaufhörlich Lärm. Das Opfer wurde schließlich verrückt und starb.
    Wie lange es dauerte, bis man verrückt wurde, wusste ich nicht mehr. Waren es drei oder vier Tage? Ich aber hatte schon eine Woche nicht geschlafen. Viel zu lange jedenfalls. Trotzdem hatte mein Körper kein bisschen an Kraft verloren. Ich fühlte mich eher noch kräftiger als sonst.
    Eines Tages stand ich, nachdem ich geduscht hatte, nackt vorm Spiegel. Ich war überrascht von der berstenden Vitalität meines Körpers. Ich überprüfte jeden Teil, vom Kopf bis zu den Füßen, konnte aber kein Gramm Fett zu viel und nicht eine Falte entdecken. Natürlich war es nicht der Körper eines jungen Mädchens, aber meine Haut besaß viel mehr Glanz, viel mehr Spannung als früher. Zur Probe kniff ich in meinen Bauch. Das Fleisch war fest und straff und hatte seine schöne Elastizität bewahrt.
    Mir wurde bewusst, dass ich schöner war, als ich gedacht hatte. Ich sah viel jünger aus. Ich könnte für vierundzwanzig durchgehen. Meine Haut war weich, meine Augen glänzten. Meine Lippen waren jung und frisch, und auch die Schatten unter meinen vorstehenden Backenknochen (den Teil an mir, den ich am wenigsten

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