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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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stechenden Schmerz in meinen Oberschenkeln.
    Ich gab eine peinliche Figur ab und ein Blick auf die japanische Reisegruppe bestätigte das nur. Angefangen von dem |164| 8-jährigen Jungen bis zu der Dame um die fünfzig führte jeder die Übungen mit mehr Körperspannung, mehr Disziplin und mehr Enthusiasmus
     aus als ich.
    Master Ryan führte uns anschließend Schläge vor und ließ uns an einer Art Sandsack üben. Wir sollten einen martialischen Schrei
     ausstoßen und dann dem Sack einen Schlag versetzen. Selbst an dieser vermeintlich einfachen Aufgabe scheiterte ich. Mein zaghaftes
     Krächzen ging nicht als Schrei durch und den Sack verfehlte ich natürlich.
    In der nächsten Übungsstufe mussten wir gegeneinander kämpfen. Master Ryan gab uns Helme und einen panzerartigen Schutz für
     den Körper. Meine erste Gegnerin war eine große, dünne Japanerin, die ein paar Jahre jünger war als ich. Unser Kampf war ein
     echter Mädchenkampf. Trotz der Schutzkleidung hatten wir beide zu viel Angst davor, einander weh zu tun. Wir tänzelten umeinander
     herum und imitierten die Schläge und Tritte, die wir gelernt hatten, wie zwei Schauspielerinnen in einem schlechten Actionfilm.
    Nachdem ich meinen ersten Kampf nicht gerade ruhmreich hinter mich gebracht hatte, teilte mir Master Ryan meinen nächsten
     Partner zu: den 8-jährigen Jungen. Zuerst dachte ich, es sei ein Witz. Der kleine Junge war schlecht gelaunt und trotzig, weil er den ganzen Vormittag
     wenig Aufmerksamkeit bekommen hatte. Der kleine Japaner ging mir mit seinem kindisch schlechten Benehmen zwar auf die Nerven,
     aber mit seinen abstehenden Ohren und seinen Knopfaugen war er doch ein niedliches Kind. Ich wollte ihn nicht schlagen und
     stellte mich auf einen zweiten Scheinkampf ein.
    Der kleine Japaner war ganz anderer Auffassung. Für ihn war der Übungskampf eine günstige Gelegenheit, den aufgestauten Frust
     loszuwerden. Wild trat und prügelte er auf mich ein. Er traf mich an der Hüfte, wo mein Körperschutz verrutscht war. In seinem
     kindlichen Zorn hielt er sich nicht mehr an die Regeln. Es kümmerte ihn nicht mehr, ob er die gelernten |165| Taekwondo-Tritte und -Schläge ausführte. Er reagierte sich einfach an mir ab. Zum Abschluss trat er mir ans Schienbein und
     grinste frech. Seine Mutter sagte kein Wort und wich meinem Blick aus. Ich sagte auch nichts und versuchte, mir nicht anmerken
     zu lassen, dass mir alles weh tat. Von einem 8-Jährigen besiegt zu werden, ist schon lächerlich genug. Ich hielt es für besser, nicht auch noch darüber zu klagen und damit die Blamage
     komplett zu machen.
    Der Tag bei Hoki Taekwondo näherte sich dem Höhepunkt. Master Ryans Assistentin gab ihm ein dickes Holzscheit, das er mit
     der bloßen Hand spaltete. Master Ryan versicherte uns, es bedürfe jahrelangen Trainings, um dicke Holzscheite zu spalten.
     Er teilte uns dünne Holzplatten aus und erklärte, dass wir aber nach dem eintägigen Training diese Holzplatten zerschlagen
     könnten. Ich sah verlegen zur Seite, weil ich bisher bei jedem Test durchgefallen war.
    Master Ryan gab uns schwarze Stifte und sagte, wir sollten unsere Wünsche und Träume auf die Holzplatten schreiben, bevor
     wir sie zerschlugen. Die sechs Japaner begannen sofort, kunstvoll Zeichen auf die Holzplatten zu schreiben. Ich zögerte. Ich
     wusste nicht, was ich schreiben sollte. Ich wusste gar nicht, was ich wollte, was ich mir wünschte.
    Ich überlegte eine Weile. Die Banalität meiner Gedanken erschreckte mich. Mir fiel nichts Poetisches ein. Schließlich beschriftete
     ich die dünne Holzplatte mit meiner krakeligen Handschrift. Ich schrieb auf Deutsch, weil ich so sicher sein konnte, dass
     niemand es außer mir lesen konnte. Master Ryan fragte mich, in welcher Sprache ich schrieb. »Deutsch, das ist meine Muttersprache«,
     sagte ich. Master Ryan schien erstaunt, denn er glaubte, wie so viele Koreaner, dass man in Deutschland englisch spricht.
    Meine Wünsche waren so gewöhnlich und phantasielos, dass es mir fast unangenehm war, sie aufgeschrieben zu haben. Meine Einfallslosigkeit
     zerstörte die Fiktion, die ich mir aufgebaut |166| hatte – die Fiktion anders, besonders, originell zu sein. Vielleicht war das der Zweck der Übung – die Erkenntnis, dass sich
     im Grunde genommen jeder das Gleiche wünscht.
    Master Ryan führte uns vor, wie man die dünnen Holzplatten zerschlug. Ein Kursteilnehmer nach dem anderen spaltete seine Platte.
     Sogar der kleine Junge. Ich

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