Schlaflos in Seoul
Erfahrung gemacht
hatte, erzählte mir nervös kichernd, dass er in der Sauna in Deutschland eine Frau mit gespreizten Beinen gesehen habe. Weiter
konnte er nicht sprechen, weil ihn der Anblick offenbar traumatisiert hatte. Bei dieser Unterhaltung fragte ich mich, wie
wohl der Biologieunterricht an koreanischen Schulen aussieht.
Andere Länder, andere Sitten, dachte ich mir, nahm meine hässliche pinkfarbene Uniform und ging in die Umkleidekabine. Die
Umkleideräume für Damen sahen auch nicht anders aus als in jedem durchschnittlichen deutschen Schwimmbad. Ich dachte an die
Alte Halle in Charlottenburg, wo ich zu meiner Berliner Zeit manchmal schwimmen gegangen bin und fast immer die einzige Besucherin
unter siebzig war. In dem koreanischen Badehaus war es ähnlich. An diesem Tag war nicht viel Betrieb. Außer mir waren nur
ein paar ältere Koreanerinnen dort.
Ich zog T-Shirt und Hose an und inspizierte die Räumlichkeiten |157| . Im Untergeschoss entdeckte ich die Wasserbecken und die Saunaräume, im ersten Stock lagen die Herrenumkleidekabinen, im
zweiten Stock war der gemischtgeschlechtliche Bereich. Dort gab es einen Kiosk, an dem Snacks verkauft wurden. Das Angebot
bestand im Wesentlichen aus Lamyeon, den koreanischen Instantnudeln, und gekochten Eiern. Meine Koreanischlehrerin erzählte
mir später, dass Koreaner im Badehaus am liebsten gekochte Eier essen. Eine besondere Erklärung gab es dafür nicht. Sie sagte,
Eier zu essen sei einfach Tradition. Die Ruheräume sahen aus wie kleine Hütten. Sie hatten Holztüren, die man nicht offen
stehen lassen durfte, denn jeder Raum hatte eine bestimmte Temperatur. Es gab heiße Räume, Räume mit hoher Luftfeuchtigkeit
und eiskalte Räume. Wegen der extremen Temperaturbedingungen konnte ich mich in keinem länger als zehn Minuten aufhalten.
Man musste wohl schon sehr betrunken sein, um in so einem Raum schlafen zu können. Ich überlegte mir, dass mein Unbehagen
vielleicht einfach daran lag, dass ich noch kein Bad genommen hatte.
Zurück in der Damenumkleidekabine, entledigte ich mich meiner hässlichen pinkfarbenen Kleidung und ging – wie nach Vorschrift
– splitternackt in die Baderäume für Damen.
Bevor man ein Entspannungsbad nehmen durfte, musste man sich gründlich einseifen und duschen, um sicherzustellen, dass man
auch richtig sauber war. Es gab drei große Becken – eines mit heißem Wasser, eines mit kaltem Wasser und eines mit lauwarmem
grünen Tee. Ich stieg zuerst in das Heißwasserbecken. An der tiefsten Stelle war es etwa einen Meter tief. Im Becken gab es
gekachelte Bänkchen, auf die man sich setzen konnte. Als ich kam, saß eine dickliche Ajumma im Heißwasserbecken. Sobald ich
ins Becken stieg, stand sie auf und ging. Ich war mir nicht sicher, ob das Zufall war oder ob ich wieder einmal eine mir unbekannte
Regel übertreten hatte. Ich fragte später eine koreanische Freundin und sie versicherte mir, dass |158| ich nichts falsch gemacht hatte. Die Ajumma wollte vermutlich nur nicht mit einer Ausländerin im gleichen Becken sitzen.
Ich blieb, bis ich die Hitze nicht mehr aushalten konnte, dann kühlte ich mich im Kaltwasserbecken ab. Schon nach zwei oder
drei Minuten fing ich an zu zittern und wechselte zum Grünen-Tee-Becken, das mir am besten gefiel. Dort blieb ich, bis meine
Finger schrumpelig wurden, und beobachtete die anderen Besucherinnen.
Die Ajumma, die meinetwegen aus dem Heißwasserbecken geflüchtet war, saß auf einem kleinen Plastikhocker im Duschbereich und
ließ sich von einer anderen Ajumma mit einem Peelingtuch abgestorbene Haut vom Rücken entfernen. Koreaner sind fanatische
Anhänger von Körperpeelings. Die Tatsache, dass die meisten Europäer nicht regelmäßig peelen, finden Koreaner in der Regel
befremdlich und leicht unhygienisch. Vielleicht war die Ajumma vor mir davongelaufen, weil sie vermutete, dass ich kein Körperpeeling
gemacht hatte – was stimmte. In Korea hat das Peeling im Badehaus eine soziale Funktion.
Es kann vorkommen, dass völlig Fremde anbieten, einem den Rücken abzureiben – was dann bedeutet, dass sie mit einem Freundschaft
schließen wollen. Meine Freundin Berangère erzählte mir einmal, dass sie, als ihre Eltern aus Frankreich zu Besuch waren,
mit ihrer Mutter in ein öffentliches Badehaus ging. Die Ajummas waren wegen der strahlend weißen Haut von Berangères Mutter
fasziniert. Sie stritten sich beinahe darum, wer ihr den
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