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Schlaflos in Seoul

Titel: Schlaflos in Seoul Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Hohleiter
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anderen Gäste unwohl. Mehrere junge Koreanerinnen wichen mir aus,
     so gut es ging. Jedes Mal, wenn ich ihnen auf dem Flur oder in der Küche begegnete, huschten sie in ihr Zimmer zurück. Im
     Übernachtungspreis war ein koreanisches Frühstück inbegriffen. Zur größten Erleichterung der schüchternen jungen Koreanerinnen
     nahm ich das Frühstück nicht mit ihnen ein, weil ich am frühen Morgen noch keinen Reis mit Kimchi und Suppe hinunterbringen
     konnte. Ich trank Tee auf |172| unserem Zimmer und kaufte mir dann an der nächsten Ecke einen Keks.
    Für Joe war es bereits die zweite deutsch-koreanische Erfahrung in einer Koreaner-Pension. Als er einen Sommer in Frankreich
     verbrachte, nahm er seinen deutschen Freund Heiko in Paris mit in eine Koreaner-Pension. Für Heiko war es der erste Kontakt
     mit einer rein koreanischen Gruppe. Er aß zum ersten Mal koreanisches Essen, das ihm sogar schmeckte. Irgendwann fiel ihm
     auf, dass die anderen beim Essen schmatzten und hielt das für einen Ausdruck der Wertschätzung für die Kochkünste der Pensionswirtin.
     Da er sich weder mit den koreanischen Gästen noch mit dem Personal verständigen konnte, versuchte er, genau wie sie beim Essen
     zu schmatzen, um die Pensionswirtin nicht zu beleidigen. Er bekam es aber nicht hin – seine deutsche Erziehung war ihm so
     in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihm kein lautes Schmatzen über die Lippen kam. Als ich später in Korea lebte, fiel
     mir auf, dass die Koreaner-Pensionen in Europa Ähnlichkeiten mit den Studentenpensionen in Seoul hatten: eine resolute Ajumma,
     die kocht und die Hausbewohner neugierig beobachtet, ein großer Reiskocher und riesige Kimchivorräte in der Küche, junge Koreanerinnen,
     die, sobald sie ein ausländisches Gesicht erblicken, in ihre Zimmer huschen   …
    Seit meinem Umzug nach Seoul begegnen mir koreanische Touristen vor allem im Flugzeug, wenn ich auf dem Weg nach Deutschland
     oder auf dem Rückweg nach Korea bin. Am Flughafen kann man Koreaner von anderen Asiaten leicht unterscheiden: Im Duty-free-Shop
     kaufen sie große Mengen Schnaps und sprechen auch später im Flugzeug dem kostenlosen Alkohol reichlich zu. Ein weiteres Merkmal
     koreanischer Reisender ist unübersehbar – ihre Eile. Sobald das Flugzeug landet und noch bevor es seine endgültige Parkposition
     erreicht hat, stehen die koreanischen Passagiere auf, öffnen die Gepäckfächer und reißen ihre Taschen und Tüten an sich. |173| Wenn die Türen geöffnet werden, stürmen sie sofort aus dem Flugzeug, als hinge ihr Leben daran. Ich warte normalerweise, bis
     alle ungeduldigen Koreaner das Flugzeug verlassen haben und mache mich dann gemächlich auf den Weg. An der Gepäckausgabe treffe
     ich sie sowieso wieder – denn Koreaner reisen nie mit leichtem Gepäck, sondern immer mit riesigen Trolley-Koffern.
    So merkwürdig die koreanische Hektik auch sein mag, es gibt durchaus einen Grund dafür: Die meisten Koreaner haben sehr wenig
     Urlaub und somit keine Zeit zu verlieren. Berufsanfänger in einer koreanischen Firma haben eine Woche oder maximal zehn Tage
     Urlaub im Jahr. Wer für eine ausländische Firma arbeitet oder sich in einer koreanischen Firma hochgedient hat, bekommt offiziell
     zwei oder manchmal auch drei Wochen Urlaub. Die Tatsache, dass einem gesetzlich Urlaub zusteht, bedeutet aber nicht, dass
     man auch wirklich Urlaub nehmen kann. Viele Arbeitnehmer werden von ihren Chefs derart unter Druck gesetzt und mit Arbeit
     überschüttet, dass sie ihren Urlaub einfach verfallen lassen. Ein Freund von Joe, der bereits mehrere Jahre in einer koreanischen
     Firma arbeitete, hatte seit seinem Berufseinstieg noch keinen einzigen Urlaubstag genommen.
    Als ich einmal mit Joe für eine Woche an die koreanische Ostküste fahren wollte, wurden wir von seinen Verwandten und Bekannten
     für verrückt erklärt, weil kein Koreaner länger als drei Tage ans Meer fahren würde und eine Woche doch ein übertrieben langer
     Urlaub sei. Ich dachte wehmütig an die Sommer meiner Kindheit zurück – an lange Sommertage in Frankreich, die ich mit Schwimmen
     und Lesen am Strand verbrachte, drei Wochen am selben Ort, lange schlafen, die Sonne auf der Haut spüren, ausgetretene Sandalen
     tragen, Baguette und Fruchttörtchen essen   … Meine Idee von einem erholsamen Urlaub ließ sich mit dem koreanischen Konzept von einer gelungenen Reise nur schwer vereinbaren.
     Joe fuhr |174| schließlich doch für eine Woche mit mir an

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