Schlaflos in Seoul
die Ostküste, verlangte aber mindestens einen Ortswechsel, weil er es zu langweilig
fand, eine ganze Woche an einem Ort zu verbringen. Ich stimmte zu. Da sich die schönen Sandstrände an der Ostküste alle relativ
ähneln, verstand ich aber trotzdem nicht, warum der Ortswechsel so wichtig war.
Ein anderes Mal brachte ich Joe dazu, mit mir für eine Woche auf die koreanische Ferieninsel Jeju zu fliegen. Jeju wird als
das koreanische Hawaii bezeichnet und gilt – zu Recht – als der schönste Teil von Korea. Joes bester Freund besaß auf Jeju
eine Ferienwohnung und ein Auto. Er stellte uns beides zur Verfügung. Wir fuhren jeden Tag mit dem Auto zum Strand – jeden
Tag an einen anderen, weil Joe auf Abwechslung bestand. Ich wollte nur schwimmen, am Strand herumliegen und Bücher lesen.
Joe beschwerte sich, wir würden nie etwas unternehmen und warf mir maßlose Faulheit vor.
Wir fanden schließlich einen Kompromiss. Joe ließ mich morgens ausschlafen. Dafür besichtigten wir am frühen Nachmittag, wenn
es zu heiß war, um an den Strand zu gehen, ein Museum oder berühmte Grotten und Tropfsteinhöhlen und gingen erst gegen 15
oder 16 Uhr an den Strand. Ich ließ ihn, weil er offenbar Spaß daran hatte, Hunderte von Fotos machen, auch wenn ich meist nicht in
Stimmung war, für ihn zu posieren und dann nur alberne Fratzen schnitt.
Meiner Meinung nach war auf Jeju das Strandleben die eigentliche Attraktion. Auffällig waren die vielen Sonnenschirme, die
man an europäischen Stränden nicht in dieser Konzentration gesehen hätte. Koreaner finden sonnengebräunte Haut hässlich. Vor
allem junge Koreanerinnen benutzen Sunblocker mit hohem Lichtschutzfaktor, bleiben nach Möglichkeit unter dem Sonnenschirm
und tragen, auch wenn sie schwimmen gehen, über ihrem Bikini ein T-Shirt und Shorts. Den Anblick von nahezu vollständig bekleideten Mädchen im Wasser fand ich lustig – allerdings war ich mir nie
sicher, ob dieser Aufzug |175| wirklich nur dem Sonnenschutz dienen sollte oder ob es ihnen einfach peinlich war, im Bikini herumzulaufen. Meine koreanischen
Freundinnen klärten mich darüber nicht auf. Sie schoben immer den Sonnenschutz vor.
Meine Freundin Whitney erzählte mir von einem Strandausflug, für den sich ihre koreanischen Freundinnen alle hübsche und zum
Teil auch sehr teure Bikinis gekauft hatten. Whitney war aber die Einzige, die die Bikinis zu sehen bekam. Am Strand liefen
auch Whitneys Freundinnen mit T-Shirt und Shorts herum und ließen sich nicht dazu bewegen, sie auszuziehen.
Auf Jeju war ich eine der Wenigen, die wirklich nur einen Bikini trugen und nichts überzogen. Dafür wurde ich von einer Gruppe
gut gelaunter – und vermutlich leicht angetrunkener – koreanischer Herren eingeladen, mit ihnen Schlauchboot zu fahren. Ich
fand das Angebot sehr freundlich, aber Joe verbot mir erbost es anzunehmen.
Am Übergang vom Strand zur Straße konnte man sich in kleinen Waschbecken die Füße waschen. In der Nähe eines Luxushotels gab
es aber für die Hotelgäste richtige Duschen und einen Hotelangestellten, der einem flauschige weiße Handtücher reichte. Joe
wollte unbedingt die komfortablen Duschen benutzen, obwohl wir gar nicht in dem Hotel wohnten. »Du gehst zuerst«, sagte er,
»und sprich nur englisch. Wenn dich jemand etwas auf Koreanisch fragt, tust du einfach so, als ob du nichts verstehst.« Ich
ging zu den Duschen und begrüßte den Hotelangestellten auf Englisch. Dabei kam ich mir vor wie Jean Seberg in ›Außer Atem‹,
als sie den französischen Parkwächter auf Englisch anspricht, um ihn davon abzulenken, dass sie ein gestohlenes Auto fährt.
Wie der Parkwächter im Film schöpfte auch der Hotelangestellte auf Jeju keinen Verdacht.
Nachdem wir geduscht und umgezogen waren, schlug Joe vor, das Luxushotel näher anzusehen. Ich hatte Bedenken, dass wir hinausgeworfen
würden, weil wir ja nicht dort wohnten. Joe sagte: »Du bist weiß. Jeder wird denken, dass du Hotelgast |176| bist.« Wir gingen also ins Hotel. Niemand hielt uns auf. Wir sahen uns die weiträumige Gartenanlage an, den künstlichen See
mit kleinen Booten in der Form von Schwänen, die Cafés und Restaurants und die Bühne, auf der jeden Abend Livemusik gespielt
wurde. Irgendwann kamen wir an mehreren Windmühlen vorbei. Ich fragte Joe, was Windmühlen auf Jeju zu suchen haben. Er sagte,
sie seien eine Touristenattraktion, weil sie nach Holland aussahen. Offenbar
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