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Schlaflos - Insomnia

Titel: Schlaflos - Insomnia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Helen ihre Mütze abgenommen und betrachtete sie. »Ja«, sagte sie, »wir gingen zum Spiel, sind aber nur drei Innings geblieben. Männer schlagen Bälle und fangen Bälle. Ich glaube, ich bringe neuerdings nicht mehr viel Geduld auf für Männer und ihren Bälle … aber unsere schicken Red-Sox-Mützen gefallen uns, nicht wahr, Natalie?«

    »Ja!«, stimmte Nat vergnügt zu, und als Ralph am nächsten Morgen um 4.01 Uhr erwachte, pochte die dünne Linie an seinem Unterarm heftig und die Todesuhr schien fast eine eigene Stimme bekommen zu haben, die immer wieder einen seltsamen, fremdartigen Namen flüsterte: Atropos … Atropos … Atropos.
    Ich kenne diesen Namen.
    Wirklich, Ralph?
    Ja, er war der mit dem rostigen Skalpell und der gemeinen Art, er hat mich Kurzer genannt, er nahm … nahm …
    Nahm was, Ralph?
    Er gewöhnte sich an diese stummen Unterhaltungen; sie schienen auf einer geistigen Wellenlänge zu ihm zu kommen, einer Piratenfrequenz, die nur in den frühen Morgenstunden auf Sendung war, wenn er wach neben seiner schlafenden Frau lag und darauf wartete, dass die Sonne aufging.
    Nahm was? Erinnerst du dich?
    Er rechnete nicht damit; die Fragen, die ihm diese Stimme stellte, blieben fast immer unbeantwortet, aber diesmal erhielt er eine Antwort, mit der er nicht gerechnet hatte.
    Selbstverständlich Bill McGoverns Hut. Atropos hat Bills Hut genommen, und einmal hab ich ihn so wütend gemacht, dass er wahrhaftig ein Stück aus der Krempe rausgebissen hat.
    Wer ist er? Wer ist Atropos?
    Dessen war er sich nicht so sicher. Er wusste nur, Atropos hatte etwas mit Helen zu tun, die jetzt eine Mütze der Boston Red Sox zu besitzen schien, die ihr ausgesprochen gut gefiel, und er besaß ein rostiges Skalpell.

    Bald, dachte Ralph Roberts, während er in der Dunkelheit lag und dem leisen, konstanten Ticken der Todesuhr in den Wänden lauschte. Bald werde ich es wissen.

11
    In der dritten Woche des brütend heißen Juni sah Ralph die Auren wieder.

12
    Als der Juni in den Juli überging, brach Ralph häufig in Tränen aus, meistens ohne ersichtlichen Grund. Das war seltsam; er fühlte sich weder deprimiert noch unzufrieden, aber manchmal sah er etwas - möglicherweise nur einen Vogel, der einsam seine Kreise am Himmel zog -, und sein Herz wurde schwer vor Kummer und Verlustgefühlen.
    Es ist fast vorbei, sagte seine innere Stimme. Sie gehörte nicht mehr Carolyn oder Bill oder seinem jüngeren Selbst; sie war jetzt völlig eigenständig, die Stimme eines Fremden, allerdings nicht unbedingt eines unfreundlichen. Deshalb bist du so traurig, Ralph. Es ist völlig normal, traurig zu sein, wenn die Uhr abläuft.
    Nichts ist fast vorbei!, schrie er zurück. Warum sollte es? Bei meiner letzten Untersuchung hat Dr. Pickard gesagt, ich wäre kerngesund wie ein Fisch im Wasser! Mir geht es bestens! Ich habe mich nie besser gefühlt!
    Die innere Stimme schwieg. Aber es war ein wissendes Schweigen.

13
    »Okay«, sagte Ralph eines heißen Nachmittags Ende Juli laut. Er saß auf einer Bank nicht weit von der Stelle entfernt, wo bis 1985 der Wasserturm von Derry gestanden hatte, bevor der große Sturm ihn umwarf. Am Fuß des Hügels, in der Nähe des Vogelbads, machte sich ein junger Mann (ein gewissenhafter Vogelbeobachter, dem Fernglas um den Hals und dem Stapel Taschenbücher neben sich im Gras nach zu urteilen) gewissenhaft Notizen in eine Art Tagebuch. »Okay, sag mir, warum es fast vorbei ist. Sag mir nur das.«
    Es erfolgte keine unmittelbare Antwort, aber das machte nichts; Ralph war bereit zu warten. Der Spaziergang hierher war anstrengend gewesen, der Tag war heiß, und Ralph war müde. Er wachte jetzt jeden Morgen gegen 3.30 Uhr auf. Er machte wieder lange Spaziergänge, aber nicht in der Hoffnung, sie würden ihm helfen, besser oder länger zu schlafen; er glaubte, dass er Pilgergänge unternahm, dass er seine sämtlichen Lieblingsplätze in Derry ein letztes Mal besuchte. Dass er Lebewohl sagte.
    Weil die Zeit des Versprechens fast gekommen ist, antwortete die Stimme, und die Narbe pochte wieder mit ihrer starken, konzentrierten Hitze. Das dir gegeben wurde, und das du als Gegenleistung gegeben hast.
    »Was war das?«, fragte er aufgeregt. »Bitte, wenn ich ein Versprechen gegeben habe, warum kann ich mich daran nicht erinnern? «
    Das hörte der gewissenhafte Vogelbeobachter und sah den Hügel hinauf. Er sah einen Mann auf einer Parkbank sitzen und offenbar Selbstgespräche führen. Der

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