Schlaflos - Insomnia
Jahres 1994 kaufte sie mit dem größten Teil dieses Geldes ein Haus in der Harris Avenue, nur drei Häuser von ihrem alten Wohnsitz entfernt und direkt gegenüber von Harriet Bennigan.
»Ich habe mich an der East Side nie richtig wohlgefühlt«, erzählte sie Lois an einem Novembertag dieses Jahres. Sie waren auf dem Rückweg vom Park, und Natalie saß zusammengesunken und schlafend in ihrem Wagen, von ihr war nicht viel mehr zu sehen als eine rosa Nasenspitze und eine Kondenswolke aus Atemluft unter einer großen Skimütze, die Lois selbst gestrickt hatte. »Ich habe von der Harris Avenue geträumt. Ist das nicht verrückt?«
»Ich glaube nicht, dass auch nur ein einziger Traum verrückt ist«, antwortete Lois.
Helen und John Leydecker gingen fast den ganzen Sommer über miteinander aus, aber weder Ralph noch Lois waren besonders überrascht, als die Romanze nach dem Labor Day unvermittelt zu Ende ging oder als Helen eine diskrete, dreieckige rosa Anstecknadel an ihrer gestärkten Bibliothekarinnenbluse mit dem hohen Kragen trug. Vielleicht waren sie nicht überrascht, weil sie so alt waren, dass sie alles mindestens einmal gesehen hatten, oder weil sie auf einer anderen Ebene tief in ihrem Inneren immer noch die Auren sahen, die alles umgaben und einen hellen Durchgang zu einer geheimen Stadt versteckter Bedeutungen, verborgener Motive und trügerischer Tagesabläufe bildeten.
5
Ralph und Lois passten oft auf Natalie auf, nachdem Helen wieder in die Harris Avenue gezogen war, und diese Aufgabe bereitete ihnen außerordentliches Vergnügen. Nat war das Kind, das aus ihrer Ehe hervorgegangen sein könnte, wäre sie dreißig Jahre früher zustande gekommen. Der kälteste und wolkenverhangenste Wintertag wurde warm und hell, wenn Natalie ins Zimmer getappt kam, die in ihrem gesteppten rosa Schneeanzug, an dessen Ärmeln die Fäustlinge herunterhingen, wie eine zwergenhafte Version eines Goodyear-Luftschiffes aussah, und fröhlich rief: »Hi, Walf! Hi, Roliss! Ich bin zu besuv gekommen!«
Im Juni 1995 kaufte Helen einen gebrauchten Volvo. Auf das Heck klebte sie einen Sticker mit der Aufschrift
EINE FRAU BRAUCHT EINEN MANN SO SEHR WIE EIN FISCH EIN FAHRRAD. Auch das überraschte Ralph nicht besonders, aber wenn er den Sticker sah, fühlte er sich immer unglücklich. Manchmal dachte er, Eds schlimmstes Vermächtnis an seine Witwe ließe sich in diesem kurzen, nicht besonders komischen Spruch zusammenfassen, und wenn er ihn sah, musste Ralph oft daran denken, wie Ed an dem Nachmittag ausgesehen hatte, als er, Ralph, vom Red Apple zu ihm gegangen war, um ihn zur Rede zu stellen. Wie Ed ohne Hemd in dem Sprühregen des Rasensprengers gesessen hatte. An den Blutstropfen auf einem Brillenglas. Wie er sich nach vorn gebeugt, Ralph mit seinen ernsten, intelligenten Augen angesehen und gesagt hatte, wenn die Dummheit ein gewisses Maß erreicht habe, könne man schwer damit leben.
Und danach hat alles angefangen, dachte Ralph dann manchmal. Aber was genau angefangen hatte, daran konnte er sich nicht mehr erinnern, was allerdings wahrscheinlich auch nicht schlimm war. Aber diese Gedächtnislücke (wenn es sich denn darum handelte) änderte nichts an seiner Überzeugung, dass Helen auf eine dunkle Weise betrogen worden war … dass ein übellauniges Schicksal ihr eine Blechdose an den Schwanz gebunden hatte, und sie wusste es nicht einmal.
6
Einen Monat, nachdem Helen ihren Volvo gekauft hatte, erlitt Faye Chapin einen Herzanfall, während er an einer vorläufigen Teilnehmerliste für das Startbahn Drei Classic dieses Herbstes arbeitete. Er wurde ins Derry Home Hospital gebracht, wo er sieben Stunden später starb. Ralph besuchte ihn kurz vor dem Ende, und als er die Nummer an der Tür sah - 315 - hatte er ein überwältigendes Déjà-vu -Erlebnis. Zuerst glaubte er, es läge daran, dass Carolyns Krankheit in einem Zimmer auf diesem Flur ihr Ende genommen hatte, aber dann fiel ihm ein, dass Jimmy V. in genau diesem Zimmer gestorben war. Er und Lois hatten Jimmy kurz vor dem Ende besucht, und Ralph glaubte, dass Jimmy sie beide erkannt hatte, war sich aber nicht mehr sicher; seine Erinnerungen an die Zeit, in der er Lois zum ersten Mal richtig zur Kenntnis nahm, waren verschwommen und nebulös. Er vermutete, dass daran teilweise die Liebe schuld war, und teilweise, dass er in die Jahre kam, hauptsächlich aber lag es wohl an der Schlaflosigkeit - in den Monaten nach Carolyns Tod hatte er wirklich sehr darunter gelitten,
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