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Schlagmann

Schlagmann

Titel: Schlagmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evi Simeoni
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ausgerechnet uns das passieren? Dass einer von uns so elend verreckt.«
    Wieder reagierte keiner. Anja stellte sich neben den Trainer und las die Zeilen.
    »Unfreiwillige Poesie«, murmelte sie.
    »Was?«, fragte Scholz.
    Sie sagte nichts mehr.
    Die Doppeltür zur Kapelle ging auf, und die Trauergemeinde setzte sich rumpelnd auf die dunklen Holzbänke. In der ersten Reihe saß die Familie. In der zweiten Reihe wir, ich ganz außen, links von mir Sam. Im letzten Moment drängte Anja sich neben mich auf die Kirchenbank. Plötzlich drehte sich Frau Hansen zu uns um, nickte zur Begrüßung und lächelte uns erfreut an.
    Ich sah weg.
    Wahrscheinlich wäre es angebracht gewesen, jetzt noch einmal an unsere gemeinsamen Jahre zu denken. Aber in mir war nichts mehr.
    Vorne stand der nun geschlossene Sarg, helles Holz. Als die kleine Orgel anfing zu spielen, schaute ich ihn mir genauer an. Massives Holz war das sicher nicht, wahrscheinlich ein billiges Furnier. Ob es eine Übergröße war? Schließlich war Arne mehr als zwei Meter groß.
    An jeder Seite waren drei glänzende Messinggriffe befestigt. Da wir acht Träger waren, würden wir improvisieren müssen.
    Die Orgel verstummte, danach geschah nichts mehr. Wartend saß die Gemeinde auf ihren Bänken, in der Stille hörte man plötzlich überlaut, wie jemand sich schneuzte. Ich setzte mich anders hin und stieß mit der Fußspitze an die Bank vor mir, es gab einen dumpfen Laut, aber Arnes Familie rührte sich nicht. Eine lange Minute blieb alles still, plötzlich setzte in der Ferne der Presslufthammer wieder ein, aber nur kurz, dann brach das Geräusch mit einem metallischen Klingen ab. Langsam wurde die Trauergemeinde nervös. Gab es keinen Pfarrer? Oder sonstige Redner? Ich überlegte, ob ich mich selbst für eine Rede hätte melden sollen, aber ich hatte keine Ahnung, was ich hätte sagen sollen. Ali, sein Partner und Rivale. Der Mann, der Arnes beste Zeit beendet hatte.
    Plötzlich kam zögernd ein vielleicht zwölfjähriges Mädchen mit Gitarre nach vorne, setzte sich linkisch auf einen Stuhl und fing an, ein Stück zu spielen, das man kaum hören konnte. Nach kurzer Zeit verhaspelte das Mädchen sich, fing noch mal an, blieb wieder stecken, wurde knallrot und sah hilfesuchend jemanden in der ersten Reihe an. Dort stand auch wirklich ein Mann auf und ging nach vorne zu der kleinen Kanzel. Ein hochgewachsener Typ mit Vollbart. Er trug einen blauen Bauernkittel über seiner Arbeitshose und ein kariertes Halstuch. Anja stieß mich in die Seite.
    »Ich glaube, das ist sein Bruder.«
    Arnes Bruder rieb sich die Hände und erhob seine Stimme.
    »Liebe Leute«, sagte er. »Wir nehmen heute Abschied von Arne.«
    Er zeigte auf den geschlossenen Sarg. »Mein Bruder hat sich gewünscht, dass hier keine Volksreden gehalten werden. Er wollte nur eins: dass ihr zum Abschied noch einmal seine Lieblingsmusikhört.« Der Mann nickte kurz in die Runde, ging zu einem Kassettenrecorder, der auf einem Tischchen neben der Kanzel stand, und drückte auf den Knopf. Es war ganz offensichtlich Arnes Gerät, das er immer zu seinen Trainingsexzessen im Kraftraum mitgeschleppt hatte. Der Lautsprecher war viel zu schwach für den großen Raum. Wir hörten einen Trommelwirbel, der in einen hektischen, treibenden Rhythmus überging, eine schnarrende Rock-Gitarre setzte ein, der Bass überforderte den Recorder endgültig, so dass er hässlich zu dröhnen anfing, aber natürlich wussten wir, was für eine Musik das war. Sam drehte sich zu mir und schlug leicht mit der Hand auf meinen Oberarm, als die Stimme von Kurt Cobain einsetzte. Es war einer der Songs aus Arnes Folterkammer. »Stay away«, dröhnte es aus dem Lautsprecher. »Stay away.«
    Einige Leute wurden unruhig und schauten sich hilfesuchend um, aber Arnes Bruder stand mit unbewegter Miene da und wartete, bis der Song vorbei war. Alle warteten auf das Ende der Musik. Doch als schließlich der letzte Gitarrenton verklungen war und die »Play«-Taste des Recorders hörbar hochschnappte, ließ die Spannung nicht nach. Niemand weinte mehr. Anja neben mir hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Nach einer Weile stand Scholz auf und gab uns ein Zeichen, nach vorne zu gehen.
    Wir, die sieben Achter-Überlebenden und der Trainer, stellten uns links und rechts neben den Katafalk, je drei von uns packten einen Griff. Little stellte sich in einem kleinen Abstand daneben und gab uns den Befehl zum Hochheben. Ich stand vorne links, spannte meine Muskeln

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