Schlagschatten
plötzlich zitternden Stimme sagt er: Natürlich weiß er es. Das ist doch der wesentliche Punkt, nicht wahr? Er muss es wissen, sonst hat alles keinen Sinn.
Warum?
Weil er mich braucht, sagt Black, immer noch mit abgewandtem Blick. Er braucht meine Augen, die ihn ansehen. Er braucht mich, um zu beweisen, dass er lebt.
Blue sieht eine Träne über Blacks Wangen rinnen, aber bevor er etwas sagen, bevor er seinen Vorteil nutzen kann, steht Black hastig auf und entschuldigt sich. Er müsse jemanden anrufen, sagt er. Blue wartet in seinem Sessel zehn oder fünfzehn Minuten, aber er weiß, dass er seine Zeit vergeudet. Black wird nicht zurückkommen. Das Gespräch ist beendet, und so lange er auch sitzen bleibt, heute Abend wird nichts mehr geschehen.
Blue bezahlt die Drinks und kehrt nach Brooklyn zurück. Als er die Orange Street entlanggeht, schaut er zu Blacks Fenster hinauf und sieht, dass alles dunkel ist. Macht nichts, sagt Blue, er wird bald zurück sein. Wir sind noch nicht am Ende. Die Party beginnt erst. Warte, bis der Champagner aufgemacht wird, dann werden wir sehen, woran wir sind.
Wieder in seinem Zimmer, geht er auf und ab und versucht, seinen nächsten Schritt zu planen. Es scheint ihm, dass Black endlich einen Fehler gemacht hat, aber er ist nicht ganz sicher. Denn trotz der eindeutigen Hinweise kann sich Blue des Gefühls nicht erwehren, dass letztlich alles mit Absicht geschehen ist und dass Black nun begonnen hat, ihn herauszufordern, ihn sozusagen zu gängeln, ihn auf das Ende hinzudrängen, was immer für ein Ende er im Sinn hat.
Dennoch, Blue ist zu etwas durchgestoßen, und zum ersten Mal seit Beginn des Falles steht er nicht mehr dort, wo er war. Normalerweise würde Blue solch einen kleinen Triumph feiern, aber heute Abend ist er nicht in der Stimmung, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Er ist vor allem traurig und von der Welt enttäuscht und kann sich nicht mehr begeistern. Irgendwie haben ihn die Fakten zuletzt im Stich gelassen; es fällt ihm schwer, es nicht persönlich zu nehmen, und er weiß sehr wohl: Wie immer er sich den Fall darstellt, er ist auch ein Teil davon. Dann geht er zum Fenster, blickt über die Straße hinüber und sieht, dass nun in Blacks Zimmer das Licht an ist.
Er legt sich auf das Bett und denkt: Leben Sie wohl, Mr. White. Sie waren nie wirklich da, nicht wahr? Es gab nie einen White. Und dann: armer Black. Arme Seele. Armer verhinderter Niemand. Und dann, als seine Lider schwer werden und ihn der Schlaf überkommt, denkt er, wie seltsam es ist, dass alles seine eigene Farbe hat. Alles, was wir sehen, alles, was wir berühren – alles auf der Welt hat seine eigene Farbe. Er kämpft, um noch ein wenig länger wach zu bleiben, und beginnt, eine Liste aufzustellen. Nehmen wir beispielsweise Blau, sagt er. Es gibt Blauhäher und blaue Reiher. Es gibt Kornblumen und Strandschnecken. Es gibt den Mittag über New York, es gibt Blaubeeren und den Pazifik. Es gibt blaue Bänder und blaues Blut. Eine Stimme singt die Blues. Da ist die Polizeiuniform meines Vaters. Da sind meine Augen und mein Name. Er unterbricht sich, findet plötzlich nichts Blaues mehr und geht weiter zu Weiß. Die Möwen, sagt er, und Seeschwalben und Störche und Kakadus. Die Wände dieses Zimmers und die Leintücher auf meinem Bett. Die Maiglöckchen und Nelken und die Blütenblätter der Gänseblümchen. Die Friedensfahne und die chinesische Trauerfahne. Muttermilch und Sperma. Meine Zähne. Das Weiße in meinen Augen. Es gibt Weißbarsche und Weißkiefern und weiße Ameisen. Das Haus des Präsidenten. Weißfäule und Weißglut.
Und ohne Zögern geht er über zu Schwarz; er beginnt mit schwarzen Listen, dem Schwarzmarkt und der Schwarzen Hand. Die Nacht über New York, sagt er. Die Chicago Black Sox. Es gibt Brombeeren und den Schwarzen Dienstag und den schwarzen Tod. Mein Haar. Die Tinte, die aus der Feder fließt. Die Welt, die ein Blinder sieht. Dann, als er schließlich des Spiels müde wird, beginnt er sich treiben zu lassen und sagt sich, dass es endlos so weitergeht. Er schläft ein, träumt von Dingen, die vor langer Zeit geschahen, und wacht mitten in der Nacht plötzlich auf. Er geht wieder im Zimmer auf und ab und denkt darüber nach, was er als Nächstes tun will.
Gegen Morgen fängt er an, sich mit einer anderen Verkleidung zu beschäftigen. Diesmal entscheidet er sich für den Fuller-Bürsten-Mann, ein Trick, den er schon mal angewendet hat, und in den nächsten zwei Stunden
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