Schlangenaugen
dem Testament klären und es beglaubigen lassen. Danach gehört die Cloudy Moon dir und du kannst entscheiden, was mit der Plantage geschehen soll. Du kannst sie natürlich auch verkaufen."
Joe strahlte den Sheriff an. "Danke, Sir. Herzlichen Dank. Ich weiß bereits, was ich mit der Plantage machen möchte."
"Na, dann bin ich ja gespannt. Und jetzt raus mit euch. Ich habe jetzt Wichtigeres zu tun."
Emily und die beiden jungen Männer verließen das Sheriff Office. Draußen atmeten sie nochmals tief durch. In der Stadt ging bereits alles wieder seinen gewohnten Gang. Geschäfte wurden gemacht, Lieferungen rollten zum Hafen oder wurden von dort weiter transportiert. Es herrschte reges Kommen und Gehen auf der Hauptstraße.
Hinter ihnen öffnete sich die Türe. Jenkins trat zu ihnen und stellte sich neben André. "Was deinen Rauswurf aus meiner Stadt betrifft, Junge", begann er so leise, dass nur dieser es hören konnte. "Ich gebe dir eine Probezeit von drei Monaten und rate dir dringend, die Hände von den Würfeln zu lassen und auf keinen Fall um Geld zu spielen."
Dann ging er mit großen Schritten weiter, um seine morgendliche Runde zu drehen. André strahlte. Am liebsten hätte er seinen Arm um Joe gelegt und ihn vor Freude an sich gedrückt, doch das war in der Öffentlichkeit nicht ratsam.
* * *
Sechs Monate später.
Die Südstaaten erholten sich nur langsam von ihrer Niederlage. Die schwarzen Sklaven waren nun keine Sklaven mehr, sondern Arbeiter. Sie mussten keine Ketten mehr tragen und für ihre Tätigkeit bezahlt werden, was die Plantagenbesitzer nur zähneknirschend taten. Obwohl der Lohn oft minimal war, so war dies jedoch der erste Schritt zu einer gewissen Gleichstellung. Trotzdem herrschte strenge Rassentrennung in Geschäften und öffentlichen Gebäuden. Das sollte für viele Jahrzehnte noch so bleiben.
Auf der Cloudy Moon Plantage hatte sich vieles verändert. Die ehemaligen Sklavenhütten waren komplett abgerissen worden. Auf den Feldern wuchs statt Baumwolle nun Mais. Der größte Teil des fruchtbaren Bodens war verpachtet worden. Offiziell gehörte die Cloudy Moon nun André LeClerq, Joe war als Verwalter bestellt, und beide Männer waren in das prachtvolle Herrenhaus eingezogen. Trotzdem mussten sie von irgendetwas leben. Die Pacht allein reichte dazu nicht aus. Kein Wunder, dass André allzu oft versucht war, ein Spielchen zu wagen, doch er wollte es sich nicht völlig mit Sheriff Jenkins verscherzen.
Trotzdem: Das große Haus konnten sie zudem nicht allein bewirtschaften. Sie brauchten Angestellte und gaben eine Anzeige in der lokalen Zeitung auf. An diesem Morgen stellten sich zwei Frauen vor. André nahm die Bewerberinnen in Empfang, als Joe die Treppe herunterkam und in einen Freudenschrei ausbrach: "Mama Bo!"
Er konnte es kaum glauben. Diese Frau schien einfach nicht zu altern. Er stürzte auf sie zu und umarmte sie. "Ich bin so froh, dass es dir gut geht!", lachte er. "Ich hätte nie gedacht, dich wiederzusehen."
Die kräftige Negerin lachte ihr tiefes, warmes Lachen. "Ich wusste immer, dass wir uns wiedersehen, Joseph. Schau dich nur an. Was für ein hübscher Bursche du geworden bist. Kennst du Rosie noch?" Neben ihr stand eine etwas jüngere Frau mit krausen Haaren und reichte ihm schüchtern die Hand.
"Ja, natürlich. Ich hätte dich kaum wiedererkannt. Gut schaust du aus." Rosie blickte geschmeichelt zu Boden. Mama Bo legte ihren Arm um sie. "Unsere Rosie ist inzwischen verheiratet und hat zwei Kinder. Wir brauchen eine gute Stelle für sie und vielleicht auch für ihren Mann."
Joe blickte zu André hinüber, der die Szene etwas hilflos betrachtet hatte. Jetzt nickte er jedoch seinem Freund zu. "Na klar seid ihr eingestellt. Wir können noch nicht viel zahlen, aber wer weiß", lachte Joe. Seit langer Zeit fühlte er sich wieder richtig wohl in seiner Haut. Das Schicksal schien es endlich gut mit ihm zu meinen, und das strahlte er auch aus.
André trat hinzu. "Joes Freunde sind auch meine Freunde. Herzlich willkommen." Insgeheim fürchtete er jedoch, dass Joes Geheimnis durch diese beiden eventuell doch noch ans Licht kommen würde. Aber selbst wenn, die Plantage gehörte ja jetzt ihm.
Nach diesem unerwarteten Wiedersehen machte André sich wieder an die Arbeit. Als er das erste Mal den großen Salon betrat, war ihm eine Idee gekommen, die er nun im Arbeitszimmer weiter plante. Eine Stunde später kam Joseph hinzu und sah auf die Baupläne, die sein Freund vor sich
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