Schlangenaugen
zusätzlich. Dann tanzten wilde Schatten sekundenlang über die schäbige Einrichtung und den gewölbten Leib einer Frau, die mit schmerzverzerrtem Gesicht im Bett lag.
Diana LeClerq war erst Anfang Zwanzig, blond, hübsch und viel zu zart für dieses Leben. Ihre Freundin Emily war da wesentlich robuster. Emily saß bei ihr am Bett , als Diana sich vor Schmerzen krümmte. Die Wehen kamen immer häufiger. „Wir müssen den Arzt rufen“, flehte Emily besorgt und tupfte den Schweiß von der Stirn der sich quälenden Freundin. „Nein, ich habe kein Geld für einen Arzt“, stieß diese zwischen den Zähnen hervor. „Du weißt doch, dass ich in den letzten Monaten nur noch Getränke servieren konnte. Niemand hat mich mehr angefasst.“
„Darum geht es doch jetzt nicht, Diana. Du brauchst Hilfe. Wir schaffen das nicht allein“, bat die brünette Emily noch einmal. Sie war kaum älter als Diana, aber schon seit drei Jahren im Bouncing River Saloon.
Die Gebärende schüttelte den Kopf. Das Kissen unter ihr war bereits durchtränkt vom Schweiß. „Nein. Ich hätte besser aufpassen sollen. Das ist nun die Strafe für meine Sünden.“
„Red nicht so einen Blödsinn. Wir machen einen Job wie jeder anderer auch. Ohne uns würden diese religiösen Weiber von ihren Ehemännern mehr bedrängt als ihnen lieb ist“, schnaubte Emily und fuhr sich verzweifelt durch die braunen Locken. „Ich hol jetzt den Doc, hörst du. Das hier ist nicht normal.“
Noch bevor Diana antworten konnte, schnappte sie sich ihr Schultertuch und eilte aus dem Raum, die Treppen hinunter zur Hintertür und lief zu Fuß durch die Straßen der nächtlichen Hauptstadt, bis sie vor dem Haus von Doc Brown angekommen war. Der Sturm trieb ihr den Straßenstaub ins Gesicht. Sie hämmerte mit ihren kleinen Fäusten an die Türe, bis das Licht hinter den geschlossenen Fensterläden anging und ein Fenster aufgestoßen wurde. Dem alten Arzt mit den gütigen Augen, mit denen er jetzt verschlafen zwinkerte, schilderte sie in abgehackten Sätzen ihre Notlage.
„Ich komme gleich. Geh zurück zu deiner Freundin und bleib bei ihr“, war die Antwort. „Wird ´ne Steißgeburt sein“, murmelte er, als er sich hastig anzog, seinen Arztkoffer schnappte und hinter der Dirne her eilte. Emily betrat nur wenige Minuten vor ihm Dianas Zimmer. Doc Browns Vermutung bestätigte sich wenig später. Er schickte Emily hinaus. Unten johlten die typischen Zecher, und in den Zimmern im ersten Stock stöhnten Dianas und Emilys Kolleginnen für die Liebesdienste, die sie gerade fremden Männern erwiesen.
„Kein guter Zeitpunkt, um geboren zu werden “, fuhr es Emily durch den Kopf. Sie stand auf dem Korridor, an dessen Ende ein Fenster den von Wolken und Blitzen gepeinigten Nachthimmel zeigte. Der Hammerschlag eines Donners gerade über ihr schien diesen Gedanken zu bestätigen, sodass sie zusammenzuckte.
Die zierliche Französin, die erst vor wenigen Monaten nach Louisiana gekommen war, überlebte diese Nacht nicht. Nach über einer Stunde kam Doc Brown mit einem krebsroten, zappelnden Neugeborenen, eingehüllt in eine dünne Wolldecke auf dem Arm, aus Dianas Zimmer. Sein Hemd war blutverschmiert, der Kragen stand weit offen. Er sah erschöpft aus und blickte in Emilys fragende blaue Augen. Er schüttelte sacht seinen Kopf mit dem silberweißen Haarkranz und legte ihr das kleine, quiekende Bündel in die Arme. Es war ein Junge. Dann gab er ihr einen Silberdollar. „Sorg für ein anständiges Begräbnis!“, murmelte er und wandte sich ab, um seine Sachen zu holen. Emilys Augen füllten sich mit Tränen.
* * *
Achtzehn Jahre später: Amerika war gespalten. Die ersten Feindseligkeiten zwischen den Nord- und den Südstaaten brachen aus, nachdem letztere sich aus der Union losgesagt hatten, darunter auch Louisiana am 26.01.1861. Am 12. April 1861 fiel der erste Schuss, der einen Bürgerkrieg auslöste. Präsident Abraham Lincoln trat für die Abschaffung der Sklaverei im gesamten Land ein, der Süden jedoch hing an seiner Feudalherrschaft und war bereit, diese bis aufs Blut zu verteidigen. Ebenso wie Ibrahim McMillan. Er selbst war zu alt zum Kämpfen, doch er verteidigte die Rechte der Plantagen- und Sklavenbesitzer mit flammenden Reden auf den Versammlungen in Baton Rouge.
Dort, wie überall im Süden, rüstete man sich zum Kampf. Im Norden wurden die Rufe von Seiten der Befürworter für die Befreiung der Sklaven immer lauter. Diese Entwicklung machte auch vor
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