Schlangenaugen
wäre. Im schlimmsten Falle würde man ein Aufgebot an Häschern mit Bluthunden hinter ihm herschicken. Wenn er Glück hatte, würde der Sheriff gar nichts unternehmen. Doch Joseph war nicht zu Fuß unterwegs! Stattdessen hatte er sich als blinder Passagier an Bord der „Kane“ gestohlen und harrte nun in seinem dunklen Versteck im Schiffsbauch aus, bis der Raddampfer sich am nächsten Morgen in Bewegung setzen würde.
Das Gefühl von Freiheit spülte eine Welle Adrenalin durch seine Adern. Aber Joseph war noch längst nicht in Sicherheit. Er versuchte, seinen rasenden Herzschlag zu beruhigen und trotz des Lärms um sich herum ein wenig zu schlafen. Dazu rollte er sich, von den aufgetürmten Baumwollballen verborgen, in einer Ecke zusammen wie eine Katze.
* * *
„Dieser heidnische Hurensohn!“, brüllte der verkaterte Tom Stratton, als er die mit einem Hufmesser durchtrennten Stricke am Boden liegen sah. Es ging doch nichts über ein paar solide Eisenketten! Wie sollte er das nun McMillan erklären? Teufel auch. Er musste etwas tun! Unvermittelt drehte er sich um und lief Zickzack über die verkehrsreiche Straße, auf der die Gespanne und klapprigen Lastwagen dem Hafen zustrebten. Geradewegs ohne anzuklopfen ins Büro von Sheriff Jenkins. Völlig außer Atem kam er vor dessen Schreibtisch zum Stehen. Jenkins nahm ungerührt einen Schluck aus seinem Becher mit schwarzem heißen Kaffee. Der war nötig, um das Gezeter von Emily hinunterzuspülen, die kurz vorher völlig aufgelöst sein Büro verlassen hatte.
„Ah, schon wieder da, Stratton?“, erkundigte er sich feixend. „Hatte dich erst nächsten Freitag zurückerwartet.“
„Verdammt noch mal, Sheriff, mein Sklave ist weg.“
„Weg?“
„Hat sich befreien können und ist auf und davon.“
„Weiß McMillan das schon?“
Tom schüttelte heftig den Kopf. „Nein, ich werd gleich zur Plantage reiten und ihm Bescheid sagen. Aber das wird mich einen gottverdammten Tag kosten.“
„Schön, wenn du wiederkommst, können wir ja ein Aufgebot zusammenstellen.“
„Dann ist der Nigger schon über alle Berge“, protestierte Tom.
Jenkins zuckte die Schultern. „Tut mir leid, aber der Besitzer eines Sklaven entscheidet, was mit ihm passiert.“
Tom Stratton fiel siedendheiß ein, dass Joseph kein Brandzeichen trug. Somit war er niemandes Eigentum, es sei denn… irgendjemand fing ihn ein und markierte ihn wie ein Stück Vieh. Wenn das passierte, würde McMillan ausrasten und Stratton persönlich vierteilen. Der Aufseher schauderte. Ibrahim McMillan war verdammt nachtragend, wenn es um sein Eigentum ging. Noch nie war ein Sklave einfach so verloren gegangen oder hatte es gewagt, von der Cloudy Moon zu flüchten. Dieser Verlust konnte ihn Kopf und Kragen kosten!
Er beugte sich halb über den Schreibtisch und stützte die Hände auf die Arbeitsplatte. „Jenkins, Sie müssen mir helfen“, bat er eindringlich. Jenkins ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und studierte weiter stoisch die Gesichter auf den Steckbriefen an der Wand. Er blickte kurz hoch. „Wer soll die Suchmannschaft bezahlen? Wenn McMillan will, dass wir seinen Sklaven suchen, brauche ich sein Okay. Daran gibt´s nichts zu rütteln. Es sei denn, du willst die Belohnung aus eigener Tasche bezahlen.“
Stratton biss die Zähne zusammen, um nicht erneut laut zu fluchen. Er konnte Jenkins schwerlich erklären, dass es sich nicht um irgendeinen Sklaven handelte, sondern um McMillans Sohn. Dann schlug er mit der rechten Faust auf den Tisch, dass der Blechbecher überschwappte. „Schön, Jenkins, ich werde den Nigger selbst suchen. Schenken Sie sich Ihr Aufgebot. Und wenn McMillan nach mir fragen sollte, dann erklären Sie ihm die Lage. Ich bin froh, wenn ich seinen Zorn nicht zu spüren kriege“, zischte er und verließ das Büro des Sheriffs. Dann ging er nochmals rüber zum Mietstall.
Erstens, um die Spur von Joseph aufzunehmen und zweitens, um eines der Zugpferde als Reitpferd zu satteln. Dann kaufte er Johnson, dem Schmied, eine dieser faltigen, braunen Spürnasen ab – einen Bluthund, der nicht mehr zur Zucht taugte. Wenn er nicht auf die Plantage zurückkehrte, würde McMillan schon jemanden in die Stadt schicken, und dann würde er wissen, was passiert war. Vielleicht konnte Stratton das Malheur bis dahin schon wieder geradebiegen. Hoffte er zumindest.
* * *
Jenkins wartete bis kurz vor dem Ablegen, bevor er die Handschellen entfernte. „Mach´s gut, Junge“, murmelte
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