Schlangenkopf
hat Olga kein Messer dabei. Nicht einmal einen Schalldämpfer für die Pistole, weil ihr das Gerät sonst zu sperrig wäre. Sie hat mit dieser Situation auch gar nicht gerechnet. Damit, dass sie den Job tun soll, und draußen vor dem Kirchenportal steht eine halbe Hundertschaft Polizisten.
Das Vernünftigste wäre, die Aktion für heute abzubrechen. Einfach zu gehen. Morgen ist auch noch ein Tag.
Nur haben ihr die beiden Männer vom Bundesnachrichtendienst gesagt, dass sie aus Deutschland verschwinden muss. Dass sie kein zweites Mal herausgeholt wird.
Sie ist jetzt in dem Bereich hinter dem Podium. Ein Tontechniker steuert die Übertragungsanlage, offenbar hat er Probleme, denn die Gitarre klingt bei manchen Akkorden schrill, als ob die Saiten dabei seien, zu reißen. Olga schenkt dem Techniker ein knappes Lächeln und geht hinüber, auf die andere Seite der Kirche, wo die Wand noch steht. Unter einem Mauerbogen tritt sie hinaus, vor sich sieht sie Gebüsch und dahinter eine Straße, die parallel verläuft zu der mit den vielen Uniformierten am Eingangsportal. Sie geht bis zum Bürgersteig vor und blickt um sich. Keine Polizei, nirgends.
Durch den Mauerbogen gelangt sie an die Rückseite des von allen Seiten einsehbaren Zeltes, unter dem das Modell des geplanten Neubaus steht. Aber dafür interessiert sich im Augenblick niemand, die Besucher versammeln sich noch immer vor dem Podium und hören den altfranzösischen Lobpreisungen der himmlischen Liebe zu. Berndorf entdeckt sie nicht darunter, für einen Augenblick fürchtet sie, dass er sie abgeschüttelt hat. Aber dann sieht sie ihn doch, und zwar auf ihrer Seite der Kirche, allein, ohne die Türken. Jetzt? Aber immer wieder verdecken ihn andere Männer. Sie wendet sich dem Modell zu und betrachtet es, die rechte Hand in der Tasche.
Sobald er wieder in Sicht kommt und sie freie Bahn hat, könnte es klappen. Sie wird ihren Job tun, das ist in zwei oder drei Sekunden geschehen, und dann wird sie durch den Mauerbogen hinaus auf die kleine Grünanlage laufen, die Waffe und die Perücke ins Gebüsch werfen, ruhig auf die Straße hinaustreten und eine Passantin sein wie Abertausend andere an diesem Sonntag in Berlin.
M it einem freundlichen Lächeln, in der einen Hand das Büchlein der Françoise Mesic haltend, die andere offen vorzeigend, geht Berndorf auf den Herrn in dem grauen Anzug zu, gleichzeitig Blickkontakt zu dessen Leibwächtern suchend.
Einer stellt sich auch sofort vor ihn und blockt ihn ab. Er ist größer als Berndorf, ein kompakter muskulöser Kerl.
»Ich möchte eine Nachricht überbringen«, sagt Berndorf. »Eine Nachricht für Herrn Kirstejn.« Er bemerkt, dass der Mann im grauen Anzug aufmerksam geworden ist, und deutet eine Verbeugung an. Und niemand behauptet, es gäbe hier keinen Herrn Kirstejn. Aber der zweite Leibwächter ist jetzt neben ihn getreten, ehe er sich’s versieht, tasten ihn rasche Hände ab, und eine noch raschere zieht ihm die Brieftasche aus dem Sakko.
»Ein Hans Berndorf«, meldet der zweite Leibwächter, nachdem er die Brieftasche durchsucht und sie immerhin zurückgegeben hat. »Ein Privatschnüffler.«
»Berndorf, so«, sagt der Mann im grauen Anzug. »Und was wollen Sie?«
»Ihnen eine Nachricht überbringen«, sagt Berndorf. »Unter vier Augen.«
Der Mann schweigt einen Augenblick, dann deutet er mit dem Kopf zur Seite, und sie gehen ein paar Schritte, bis sie im Schutz eines Pfeilers stehen bleiben. Die beiden Leibwächter beziehen in einigem Abstand Position.
»Also?«
»Ihre Leibwächter sind gut, sehr professionell, sehr aufmerksam«, sagt Berndorf. »Trotzdem habe ich gerade einen Mann wegschicken müssen, der hierhergekommen war, um zu töten.«
»Ich kenne Länder, in denen überall Männer herumstehen und darauf warten, dass sie töten können. Die menschliche Natur ist so. Gott hat viel Arbeit mit dem Vergeben.«
»Sollte man nicht wenigstens versuchen, es zu ändern?«
»Sie können die menschliche Natur nicht ändern«, antwortet der Mann, ohne Berndorf anzublicken. Die kühlen grauen Augen suchen, schon wieder, nach der jungen Frau, aber die ist dabei, Erbseneintopf auszugeben. »Der Mensch ist schlecht. Aber am Allerschlechtesten geht es in der Welt dann zu, wenn man das nicht wahrhaben will. Kain hat Abel erschlagen, und wissen Sie, warum das böse war? Weil Abel jenes Opfer gebracht hatte, das Gott wohlgefällig war. Lesen Sie dieses Buch, das Sie gekauft haben. Es war ein kluger Zug, dass Sie
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