Schlangenkopf
noch!«, bittet sie und drängt sie an den Tisch zurück, wo die beiden widerwillig stehen bleiben. »Frau Ruff hat doch vorhin gesagt, wenn Sirko bei ihr angerufen hätte, wäre ihr sofort klar gewesen, wer das ist. Aber Frau Jankewitz hat den Namen offenbar erst vor ein paar Tagen gehört.« Barbara wendet sich jetzt direkt an die Wissenschaftliche Mitarbeiterin. »So haben Sie es mir jedenfalls gesagt.«
»Das ist auch so«, gibt Carla Jankewitz zurück, in deren Gesicht etwas Farbe zurückgekehrt ist, »diese Geschichte von dem jugoslawischen oder bosnischen Gefangenen, den Fausser frei bekommen hat, die hab ich natürlich auch schon gehört. Das ist ja eine von diesen Storys, die für Fausser typisch sind. Aber mein Namensgedächtnis ist leider nicht besonders gut.«
»Komisch!«, sagt Carmen Ruff und setzt sich wieder, »das hör ich jetzt zum ersten Mal … und überhaupt! Das Foto von diesem Gefangenen, also von diesem Sirko, wie er hinter dem Stacheldraht steht, das hing jahrelang gerahmt im Chefbüro, auch nach 2002, als du bei uns angefangen hast …«
»Ich sage doch, ich kenne diese Geschichte«, erwidert Carla Jankewitz, »aber deswegen muss ich den Namen doch nicht auf Kommando wissen.«
»Ja, aber hier herumerzählen, ich gehe vor der Zeit in die Mittagspause, das kannst du dann plötzlich wieder!«
»Frau Jankewitz«, fragt Dingeldey mit leiser, fast freundlicher Stimme, »seit wann berichten Sie an den Bundesnachrichtendienst?«
D er bronzene Christus ist im Begriff, sich von seinem Kreuz zu lösen, und schiebt entschlossen das Dornengewirr von seinem Kopf, als wäre es Spinnengeweb, auch dringt die Sonne allmählich durch den Nebel und wärmt die wenigen Demonstranten, die – zurückgedrängt von uniformierter Polizei – links und rechts des Zugangs zur Kirchenruine ohne große Hoffnung ihre Plakate mit Aufschriften wie : Pfaffen raus aus Mitte! hochhalten. Aus der Ruine selbst hört man eine einzelne sonore Stimme, die aber merkwürdig gleichförmig klingt.
Am Zugang selbst wird nicht kontrolliert. Zlatan – der fast schon umgekehrt wäre, als er die vielen Polizisten gesehen hat – tritt durch das Portal, hält aber nach wenigen Schritten inne. Im Innenraum der früher dreischiffigen Kirche, von der nur noch die Außenwände des Chores und die linke Wand des Hauptschiffs den letzten Krieg überstanden haben, sind an der offenen rechten Seite Tische und Bänke aufgestellt, dazu überdachte Stände. Vor einem Podium, das im Chor aufgebaut ist, stehen knapp hundert Menschen und hören einem schwarz gewandeten Mann zu, dessen geröteter Kopf von einer weißen Bürstenfrisur gekrönt wird.
»Was hier entstehen soll«, sagt Monsignore Feichtmayr, »ist ein Ort der Einkehr, der Stille, der Demut, aber auch der Versöhnung.«
Unwillkürlich geht Zlatan ein paar Schritte zurück, fast bis zum Eingangsportal. Er lehnt sich nicht an und muss sich auch nicht festhalten. Aber er könnte es. An Worten kann man sich nicht festhalten. Nicht an solchen.
»Wir Menschen sind dem Leben verpflichtet«, fährt der Monsignore fort, und der Lautsprecher trägt die Worte bis zu Zlatan, »aber wir können all das, was uns bedrückt und quält und bedrängt und uns nicht schlafen lässt – das alles können wir aufgeben, und eben dies ist der tiefere Sinn.«
Zlatan betrachtet die Besucher, es sind viele Frauen darunter, auch jüngere und solche, die er in einer Kirche – wenn dies hier eine Kirche ist – nicht erwartet hätte. Hie und da sieht er sogar einen Schal oder sonst ein Tuch in den Farben des Regenbogens, und eine läuft herum, der hängt das falsche blonde Haar bis auf den Arsch, merkwürdig, im Brandenburg Residence hätte die keinen Zutritt gehabt. Miguel fällt ihm ein, der war mal ein paar Jahre in Paris und hat behauptet, die niedlichsten Huren dort könne man an den hohen Festtagen in Sacré-Coeur sehen.
Auf dem Podium steht jetzt eine Frau am Mikrophon, sie ist schlank, trägt ein weißes Kopftuch und einen langen blaugrauen Faltenrock, darüber eine lange schwarze Kostümjacke, es sieht ein wenig aus wie die Stewardessen-Uniform der Fluglinie eines sehr frommen Staates. Dann wird ihm klar, dass es sich um Schwester Françoise handelt, von der er im Anzeigenblatt gelesen hat, und als sie spricht, weiß er sofort, dass sie keine Deutsche ist, aber auch keine Französin, wie er vermutet hatte.
Er fürchtet schon, dass nun weiter von Versöhnung und Frieden die Rede sein wird, aber
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