SCHLANGENWALD
das Feuergefecht beginnen. Doch die drei blickten von ihr zum Auto und wieder zu ihr und sahen sie nur verwundert an.
Als Paula einige Schritte um den Wagen machte, begriff auch sie. Es würde keinen Schusswechsel und keine Befreiung geben. Es war Kandin, der im Wagen saß. Mit dunklen Sonnenbrillen und über das ganze Gesicht grinsend, als hätte er Paulas Gedanken lesen können. „Alles klar?“, erkundigte er sich bei Manuel. Der nickte.
„Schönes Auto.“
Kandin nickte zufrieden. Die Rücksitze seines Wagens waren mit Taschen und Kartons vollgeräumt.
„Gut. Ich muss jetzt los. Wenn ihr den Auftrag erledigt habt, nehmt euch alles, was ihr brauchen könnt, und verschwindet so schnell wie möglich.“ Zu den Gefangenen gewandt, ergänzte er zynisch: „Genießt die letzten Momente in dieser idyllischen Umgebung! Ich werde auf euer Wohl anstoßen.“ Dann verschwand sein Gesicht wieder hinter der sich schließenden Scheibe und der Wagen fuhr in Richtung Ausgang davon.
Die Männer und die Gefangenen setzten ihren Weg fort. So sehr Paula auch lauschte, es war kein Motorengeräusch, das Rettung versprach, zu hören. Bis auf das Scharren ihrer Füße auf dem Kies herrschte Stille. Es schien, als ob sogar der Urwald den Atem anhielt: Kein Zirpen oder Summen, keine Vogelschreie waren zu vernehmen. Nachdem sie den Eingang der Anlage passiert hatten, wurden sie von den Männern unsanft auf einen holprigen Trampelpfad dirigiert.
Paula zermarterte sich das Hirn nach Überlebensstrategien, doch es wollten ihr partout keine einfallen. Welche reellen Chancen hatten sie noch? Wenn sie nicht bald etwas unternahmen, würden sie alle in nicht allzu ferner Zukunft irgendwo im Urwald liegen, mit Einschusslöchern in den Köpfen oder Körpern. In dieser Wildnis würde niemand jemals ihre Leichen finden. Sie wären für immer verschwunden, während Kandin auf seiner Terrasse in Argentinien die Sonnenuntergänge genoss, und Manuel und seine Männer, finanziell abgesichert, viele Kinder in die Welt setzen und keinerlei schlechtes Gewissen haben würden. Eine frustrierende Vorstellung, die Paula rasch handeln ließ.
„Haut ab!“, schrie Paula den anderen zu, rannte los und stürzte sich ins Dickicht. Sie war froh, dass die Männer ihr die Hände vorn und nicht auf dem Rücken gefesselt hatten.So konnte sie diese zum Schutz vor den Zweigen, die wie Peitschenschläge auf sie einhieben, vors Gesicht halten. Dennoch war es schwieriger, als sie gedacht hatte, mit gefesselten Händen das Gleichgewicht zu halten. Sie stolperte, rappelte sich hoch. Immer wieder verhedderten sich ihre Füße in Schlingpflanzen. Ein brennender Schmerz an der Schulter durchzuckte sie, als sie gegen einen Baumstamm prallte. Paula schrie auf. „Nur nicht stehen bleiben, nur nicht stehen bleiben, lauf weiter Paula, lauf weiter …“, schnaufte sie unentwegt.
Adrenalin gab ihr das Gefühl zu fliegen. In Wahrheit rannte sie um ihr Leben. Es war ihr klar, dass, wenn einer der Männer sie aufspürte, sie Sekunden später tot war. Also hetzte sie weiter. Trotz der immer unerträglicher werdenden Schmerzen und schon völlig außer Atem kämpfte sie sich durch das dichte Unterholz des Urwalds, zog sich erbittert immer wieder hoch, wenn sie wieder einmal auf dem matschigen Boden lag. Verdammtes Blätterwerk! Die wütenden Schreie der Männer und deren Schüsse waren noch immer zu hören, doch allmählich wurden sie leiser.
„Lauf weiter!“, befahl sie sich immerzu und hetzte weiter, bis ihr die Luft wegblieb und das Stechen unter den Rippen so quälend geworden war, dass sie innehalten musste, um die Hand gegen die schmerzende Stelle zu pressen. Paula horchte, ob außer ihrem Atem noch andere menschliche Laute zu vernehmen waren. Aber da war nur das Summen, Zirpen und Rascheln des Urwalds. Je tiefer sie in diesen hineingeriet, umso leiser und dunkler wurde es. Die Kronen der Bäume bildeten ein fast lückenloses Dach, das nur noch wenige Lichtstrahlen durchließ. Paula war weit gelaufen. Sie hatte ihre Verfolger abgehängt. Erschöpft peilte sie einen Baum an und lehnte sich an seinen Stamm. Zum ersten Mal atmete sie tief durch. Die Zunge klebte trocken am Gaumen, die Gliedmaßen zitterten und das schmerzhafte Pochen in der Schulter trieb ihr dieTränen in die Augen. Paula versuchte das Klebeband, mit dem ihre Hände gefesselt waren, durchzuscheuern. Die Bewegung verschlimmerte die Schmerzen in ihrer Schulter. Doch irgendwann waren ihre Hände frei.
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