SCHLANGENWALD
blanker Wut gewichen.
Unerwartet blieb er vor Paula stehen und drohte ihr mit der Faust. Sie zuckte zurück und hob reflexartig die Arme zum Schutz.
Seitdem Kandin ihr Einblick in sein Innerstes gewährt hatte, war ihr bewusst, dass er keinerlei Skrupel haben würde, eine Frau zu misshandeln oder gar zu töten, wenn es für sein Vorankommen erforderlich war. Aber er schlug nicht zu, sondern nahm wieder Haltung an. Schließlich hob er die zwei Seitenauf und wedelte damit vor Paulas Gesicht herum. „Das ist für mich die Bestätigung, dass der Weg, den ich gehe, der richtige ist. Loyalität macht sich nie bezahlt. Ein paar Zeilen genügen und schon ist man seiner Rechte und Pflichten enthoben.“ Die eben gezähmte Wut kehrte zurück und er brüllte: „Noch nie hat jemand gewagt, mich zu kündigen!“ Nun konnte sich Paula zumindest einen Reim auf sein befremdendes Verhalten machen. Offenbar hatte ihm Qualistant Ltd. soeben per Fax mitgeteilt, dass sie auf eine weitere Zusammenarbeit mit ihm verzichten wollten. Aber warum musste das ausgerechnet jetzt passieren, wo sie sich in seiner Gewalt befand?
Kandin war zum Fenster gegangen und starrte hinaus. Nach einer Weile drehte er sich um und kam mit einem bösen Lächeln auf Paula zu. Instinktiv zog sie die Hände näher an den Körper heran.
„Nun, liebe Frau Ender, was machen wir mit Ihnen? Diese Zettel da“, dabei deutete er auf die Faxseiten, „erfordern rasches Handeln von mir. Sie müssen entschuldigen, dass ich keine Zeit habe, mich weiter um Sie zu kümmern.“ Er lachte auf. „Was wollen diese Idioten mit einer Kündigung erreichen?“
Seine Augen glänzten fiebrig, auf seinen Wangen hatten sich rötliche Flecken gebildet. Er ging zu den Schränken, öffnete die Türen, entzündete ein Streichholz und begann, die darin befindlichen Papierstapel in Brand zu setzen. Eine Weile sah er den Flammen zu, wie sie immer wilder zu flackern begannen. Dann drehte er sich zu Paula um. „Gehen wir!“
Manuel, der die ganze Zeit vor dem Bungalow Wache gestanden hatte, erhielt von ihm Anweisungen. Paula verstand nur so viel, dass sie wieder zu den anderen gebracht werden sollte.
Das Innere des Bungalows war bereits von dichtem Rauch erfüllt.
Die Enthüllungen Kandins machten Paula zu schaffen. Sie würde es nie verstehen, dass ein Mensch jeden vernichtete, der seinen Plänen in die Quere kam, und dennoch, frei von Schuldgefühlen, felsenfest von der Richtigkeit seines Handelns überzeugt war. Sie hatte derlei schon einige Male erlebt, aber immer wieder war es aufs Neue eine deprimierende Erfahrung für sie.
Dazu bekam sie es immer mehr mit der Angst zu tun. War sie in den letzten Stunden noch davon überzeugt gewesen, dass jeden Moment Hilfe eintreffen, dass jemand kommen würde, um sie alle zu befreien, so hatte sich diese Zuversicht in der letzten Stunde in nichts aufgelöst. Je mehr Zeit verstrich, umso weniger glaubte sie daran, dass der Taxifahrer nochmals zu Blancos Hütte gefahren war. Paula überlegte, ob sie davonlaufen sollte. Aber dann verwarf sie den Gedanken. Nicht nur wegen des Gewehrs, das einer der Männer nach wie vor im Anschlag hielt, sondern vor allem wegen Ricarda, Sally und Blanco, deren Leben sie auf keinen Fall gefährden wollte.
3.
Als sie beim Castel Tico angelangt waren, befahl ihr Manuel zu warten und verschwand im Gebäude. Der zweite Mann blieb zurück und bewachte sie. Wenig später erschienen Sally, Ricarda und Blanco und hielten sich, geblendet von der plötzlichen Helligkeit, die Hände schützend vor die Augen. Die beiden anderen Männer, noch immer bewaffnet, machten sich daran, die Hände der Gefangenen zu fesseln.
„Was war?“, raunte Blanco Paula zu. Doch bevor sie antworten konnte, donnerte Manuel dazwischen. Er hatte seine Waffe gezogen und zielte drohend auf sie. „Klappe halten! Und los jetzt!“
Sie gingen den Tico World Boulevard entlang. Noch bevor sie etwas sehen konnte, hörte Paula das Motorengeräusch.
„Gott sei Dank, sie sind da!“, schoss es ihr durch den Kopf, und die Hoffnung auf baldige Befreiung keimte auf. Das Auto näherte sich langsam. Es war ein weißer, großer Wagen, dessen Marke Paula nicht erkannte und den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Ihr Herz klopfte, als sie sah, wie das Fenster auf der Fahrerseite geöffnet wurde. Das konnte nur die Polizei sein, die endlich eingetroffen war, um sie zu retten.
„Schmeißt euch auf den Boden“, zischte sie ihren Freunden zu. Gleich würde
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