Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)

Titel: Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunter Frank
Vom Netzwerk:
zu unterziehen. 2003 erklärte das US National High Blood Pressure Education Program Coordinating Committee ( NHBPEP ) mit einem Federstrich Gesunde zu Gefährdeten, indem es beimThema Blutdruck einenVorrisikobereich beiWerten zwischen 130 / 80 und 140 / 90mmHg definierte. Gesund ist seitdem nur noch, wer einen Blutdruckwert von unter 130 / 80 hat.
    Bei Diabetes diagnostiziert man heute ab einemWert von über 90mg/dl Prädiabetes.Wird jemand als prä-hypertensiv oder prä-diabetisch eingestuft, so bedeutet dies nichts anderes, als dass es fachlich keinen Grund gibt, ihn als Hochdruckpatienten oder Diabetiker zu bezeichnen, man ihn aber auf dieseWeise zu einem neuen Kunden machen kann.
    Ich hatte schon völlig gesunde Frauen um die 75Jahre in der Sprechstunde, die doch tatsächlich von einem Kollegen, der wahrscheinlich gerade die neueste Fortbildung hinter sich hatte, wegen eines Zuckerwertes von 95mg/dl auf eine zuckersenkende Medikation eingestellt worden waren. Dabei haben solche Patienten durch Medikamente dieser Art nichts anderes zu erwarten als tödliche Unterzuckerung. Da jedoch der behandelnde Arzt diesen Zusammenhang nicht sieht, wenn er zu seiner über Nacht verstorbenen Patientin gerufen wird, um denTotenschein auszustellen, wird er wahrscheinlichTod durch Herz-Kreislauf-Erkrankung vermerken, weil die 75-jährige Patientin in der Sprechstunde einen » hohen « Cholesterinwert und einen leicht erhöhten Blutdruck hatte, die jedoch für ihr Alter völlig normal sind. Schriebe er auf denTotenschein » Todesursache unbekannt « , würde man der Familie eine gerichtsmedizinische Untersuchung mit eventueller polizeilicher Befragung zumuten, und auf die Idee, dass dieTodesursache die durch das Medikament verursachte Unterzuckerung war, kommt keiner. Es ist schwer, Schätzungen über die Zahl derTodesfälle durch falsch verordnete Medikamente abzugeben. Man findetAngaben von 57 000Arzneimitteltoten jährlich allein in internistischenAbteilungen der Krankenhäuser, von denen 28 000 als potenziell vermeidbar eingestuft werden. Über dieAnzahl der vermeidbarenArzneimitteltoten außerhalb der internistischen Krankenhausabteilungen lässt sich nur mutmaßen. Die hier beschriebene Praxis des falschenTotenscheins macht eine hohe Dunkelziffer wahrscheinlich.
    Primum nihil nocere: Zuerst einmal nicht schaden
    Der Kern des Problems stellt sich wie folgt dar:
    Weichen die Blutwerte eines Menschen stark von denen der anderen ab, dann wird eine Erkrankung als Folge solch abnormerWerte wahrscheinlicher. Im Bereich von Blutdruck und Blutzucker kann man dies uneingeschränkt behaupten. Im Falle eines stark erhöhten Cholesterinwertes ist jedoch selbst diese Aussage fragwürdig. Ein sehr hoher Cholesterinspiegel hat auchVorteile, weil er mit niedrigeren Infektionsraten einhergeht. Bei der Beurteilung, ob ein sehr hoher Cholesterinwert tatsächlich eine Krankheitsgefährdung bedeutet, scheint der ausschlaggebende Faktor eher eine erbliche Neigung zu Gefäßkrankheiten zu sein. Deshalb ist ein Medikamenteneinsatz auch bei sehr hohenWerten in keinerWeise zwingend. Doch bei der medikamentösen Absenkung im Falle von deutlich erhöhtem Blutzucker und Bluthochdruck profitieren die Patienten durch deutlich weniger Folgeerkrankungen wie Herzinfarkt oder Gefäßschäden.
    Wenn jedoch nur leicht erhöhteWerte auffallen, ist es äußerst fraglich, ob die betroffenen Patienten tatsächlich präventiv vor den genannten Folgeschäden geschützt werden sollten. Denn nur wenige dieser Patienten haben wahrscheinlich ein solch erhöhtes Risiko. Man weiß aber nicht, welche. Um diese wenigen zu schützen, muss man alle behandeln und setzt damit alle den Nebenwirkungen der Medikamente aus. Diese Nebenwirkungen fallen aber bei Menschen mit einer nur geringen Normwertabweichung viel stärker aus als bei den Patienten, die tatsächlich ein erhöhtes Risiko haben.Wenn Blutzucker oder Blutdruck nur leicht erhöht sind, kann schon ein kleiner medikamentös ausgelöster Blutzuckerabfall zu einer tödlichen Unterzuckerung und nur eine geringe Blutdrucksenkung zu einer Ohnmacht mitTreppensturz oder Autounfall führen. Es gilt also, diejenige Normwertgrenze zu definieren, ab der der Nutzen einerTherapie deren Schaden übertrifft.
    Zusammenhang Normwertfestlegung und therapeutischer Nutzen /Schaden

    Die derzeitigen Normwertgrenzen sind viel zu niedrig. Dabei werden die schweren Nebenwirkungen und tödlichen Folgen totgeschwiegen. Und so verstößt die Medizin

Weitere Kostenlose Bücher