Schlechte Medizin: Ein Wutbuch (German Edition)
dafür ist der Umgang mit dem sogenannten relativen Risiko. Medizinische Empfehlungen werden häufig mit Argumenten vorgetragen wie » Medikament A senkt dieWahrscheinlichkeit desWiederauftretens der schlimmen Krankheit um 50Prozent « oder » Therapie B verbessert die Heilungschancen um 30Prozent « . Das klingt stets überzeugend, doch meist sind solche Zahlen grob irreführend.
Ein einfaches Beispiel macht das Problem deutlich.Wenn Sie sich anstelle eines Loses für die Fernsehlotterie 2 Lose kaufen, verdoppeln Sie Ihr relatives Risiko, den Jackpot zu knacken, doch Ihr absolutes Risiko bleibt unverändert bei annähernd null. Durch den Bezug auf das relative Risiko kann man also behaupten, eineTherapie verdopple die Heilungschancen, obwohl sie inWahrheit völlig nutzlos ist. Deshalb muss man mit dem Begriff des relativen Risikos in der Medizin sehr vorsichtig umgehen, ganz besonders dieWissenschaftsberichterstattung der Medien. Sie sollte auf Behauptungen, die mitVeränderungen des relativen Risikos begründet werden, ganz verzichten und nur mit absoluten Zahlen argumentieren. Kein anderer Begriff wird so schnell fehlgedeutet wie der des relativen Risikos.
Ein bekanntes Beispiel ist die Brustkrebsvorsorge. Hier lautet die Schlagzeile: Frauen, die an der Brustkrebsvorsorge mittels Mammografie (Röntgenuntersuchung der Brust) teilnehmen, senken ihr Krebsrisiko um 25Prozent. DieserWert bezieht sich auf das relative Risiko, absolut gesehen sterben von 1000Frauen mit Mammografie über 10Jahre in der Altersgruppe der 50- bis 69-Jährigen 6Frauen an Brustkrebs, ohne Mammografie sterben 8Frauen. Die Mammografie reduziert also bezogen auf 8Frauen das Risiko für 2Frauen, also tatsächlich 25Prozent, aber hierbei handelt es sich um das relative Risiko. Das absolute Risiko bezogen auf 1000Frauen bedeutet lediglich eine Reduktion um 0,2Prozent. Ohne die Bezugsgröße, nämlich die Anzahl an Patienten, auf die sich die Risikosenkung insgesamt bezieht, ist die Angabe von Prozentzahlen wertlos.
Das heißt, nur 0,2Prozent der teilnehmenden Frauen haben diesen Nutzen. Nun ist das erst die halbeWahrheit. Mammografien zeigen immer auch eine Reihe unklarer Befunde, bei denen man Krebs nicht sicher ausschließen kann. Das bedeutet von 1000Frauen, die in 10Jahren je 5Mammografien über sich ergehen ließen, müssen 200 mit solchen unklaren Befunden rechnen. 50 davon werden dann eine operative Gewebsentnahme durchführen lassen müssen, um den Krebsverdacht zu klären, und werden damit dem üblichen Operationsrisiko und enormem psychischem Druck ausgesetzt.
Es gibt noch weitere Gründe dafür, dass die Mammografie als Standardvorsorge bei gesunden Frauen keinen Sinn macht . 4 Aber dieses Beispiel zeigt, wie der Einsatz von Zahlen, die das relative Risiko beschreiben, die Menschen über den tatsächlichen Nutzen von Untersuchungsmethoden vollkommen im Dunkeln lässt.
Besonders verantwortungslos sind T herapieempfehlungen auf der Grundlage von Zahlen über das relative Risiko bei Patienten mit einer sehr schweren, lebensbedrohenden Erkrankung. V iele der dort verordneten T herapien sind extrem nebenwirkungsreich, teuer und dennoch in ihrem Nutzen fragwürdig. So wurde zum Beispiel in einer Medienkampagne für das Krebsmedikament Herceptin versprochen, dass die W iederauftretensrate bei Brustkrebs nach Einnahme um 50 Prozent sinkt. Der aktuellen Studienlage zufolge trat bei etwa 10 von 100 ehemaligen Krebspatientinnen Brustkrebs wieder auf, bei mit dem Medikament behandelten Frauen waren es nur 5. Bei einem V erhältnis von 10 zu 5 kann man von einer Senkung von 50 Prozent sprechen, aber eben wieder nur das relative Risiko betreffend. In W irklichkeit wird das Risiko bei 5 von 100 Frauen, also um 5 Prozent reduziert. Gleichzeitig erlitten in der Medikamentengruppe 5 von 100 Frauen schwere Schäden am Herzen. 5 Prozent Nutzen stehen also 5 Prozent Schaden gegenüber, ohne die Einrechnung weiterer möglicher Nebenwirkungen.
Keine Chance mitzuentscheiden
In Deutschland werden Krebspatienten viel zu selten anhand absoluter Zahlen auch darüber informiert, welcheVor- und Nachteile eine Chemo- oder Strahlentherapie mit sich bringen kann. In ihrer schweren persönlichen Situation brauchen diese Patienten Ärzte, denen sie vertrauen können, und so hinterfragen viele nicht dieTherapien, die der behandelnde Arzt empfiehlt. Dennoch wäre es mehr als fair, ihnen Informationen über absolute Risiken nicht vorzuenthalten. Gerade Patienten, die
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