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Schlehenherz

Schlehenherz

Titel: Schlehenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Eva Schmidt
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und sah etwas Blaues aus der Seitengasse auf uns zukommen. Grover im Anmarsch. Eigentlich hieß er Jonas und ging in unsere Klasse. Aber weil er auf Punk machte und sich die Haare blau färbte, nannten ihn alle nur »Grover«, wie die Figur aus der Sesamstraße. Er hatte Glück, dass er den englischen Spitznamen verpasst bekam, auf Deutsch hieß die knallblaue Puppenfigur nämlich »Grobi«.
    Eigentlich war Grover ganz nett, was man im ersten Moment nicht vermutete, wenn er in seiner nietenbesetzten Lederjacke, den total zerrissenen Jeans und den ausgelatschten Chucks – rechts dunkelgrün, links knallrot –auftauchte. »Nett ist die kleine Schwester von Scheiße«, sagte Vio immer, wenn ich jemanden so bezeichnete. Scheiße fand ich Grover zwar nicht, aber ganz ehrlich: Mit seiner blauen Matte auf dem Kopf und seiner etwas zu großen Nase war er nicht gerade mein Typ. Immerhin hatte er schöne Augen, grau mit dichten schwarzen Wimpern. Wir sagten »Hallo«, wenn wir uns sahen, einmal hatte er ganz vorsichtig gefragt, welche Musik ich gernehörte, aber ich blockte alle Small-Talk-Versuche von ihm ab. Na ja, und dann war da noch die Sache mit der CD, aber davon habe ich nicht mal Vio erzählt. Aber jetzt schoss Grover wie eine blaue Farbwolke um die Ecke und ignorieren war unmöglich. »Hi«, sagte er und grinste uns freundlich an.
    »Hi«, murmelte ich, den Blick auf seine zweifarbigen Turnschuhe gerichtet.
    »Hi Grover, lange nicht gesehen. Hast du blau gemacht?«, fragte Vio, und obwohl ich sie nicht ansah, konnte ich ihr breites Grinsen förmlich fühlen. Grover nahm es locker, er lachte und fasste in seine Haare, die wie ein farbiger Flokati wild in alle Richtungen standen.
    »Schwester, du kannst nur beten, dass du unter deinem blonden Scheitel so viel Grips hast wie ich hier«, sagte er feierlich. »Die Gärtner schreibt heute ’ne Stegreifaufgabe in Bio, die sich gewaschen hat!«
    »Was?«, schrie Vio auf, »’ne Bio-Ex? Mann, ich werde total verkacken!« Was bei Vio nichts Neues war. Dass sie erst einmal eine Klasse wiederholen hatte müssen, war eigentlich ein Wunder. Nicht, dass ich mir wünschte, sie würde noch mal sitzen bleiben. Immerhin hatte ihr katastrophales Zeugnis sie vor zwei Jahren zum Wiederholen der siebten Klasse gezwungen und sie war in meinem Jahrgang gelandet, worüber wir beide happy waren.
    »Woher weißt ’n das?«, fragte Vio Grover und leise Panik schlich sich in ihre Stimme.
    Grover lächelte wie die Sphinx persönlich. »Intuition, Schwester!«, sagte er geheimnisvoll und schlenderte mit einem »See you later, alligator« davon.
    Vio blickte ihm finster nach. »Angeber. Ich wette, der wollte uns nur Angst einjagen.« Dann warf sie mir einenschrägen Blick zu. »Aber … falls das mit dem Test stimmt, könnte ich dann …?«
    Ich seufzte und nickte. Abschreiben. Logisch. Das war nämlich der Grund, wieso Vio bisher kein zweites Mal kleben geblieben war. Ich paukte den Stoff – und Vio schrieb ihn ab. So war es und so würde es wohl immer sein. Trotzdem nervte es manchmal. Jetzt zum Beispiel.
    »Warum kannst du eigentlich nicht einmal selber lernen?«, traute ich mich aufzumucken.
    Vio lächelte von ihren 1,75 Metern gönnerhaft auf mich herunter: »Weil du mir vor fünf Jahren fast den Schädel eingeschlagen hast, meine Süße. Seitdem bin ich irgendwie – so vergesslich!«
    Ich verdrehte die Augen. Immer kam sie mir mit dieser ollen Kamelle!
    Kennengelernt hatten wir uns nämlich auf einem Ponyhof ganz in der Nähe. Im Gegensatz zu anderen besten Freundinnen waren wir uns aber anfangs gar nicht grün gewesen. Ich hielt Vio für eine eingebildete Ziege mit ihren langen, damals blonden Haaren, die beim Trab und Galopp immer filmreif unterm Reiterhelm wehten. Und sie mich für eine kleine Streberin, weil ich nach drei Monaten schon in die Fortgeschrittenen-Gruppe durfte. Wir mieden uns wie die Pest. Bis zu dem Tag, als ich und ein paar andere Reitschüler in der leeren Halle herumblödelten. Ich wirbelte zum Spaß einen Halfterstrick wie ein Lasso herum. Leider mit dem Ende nach vorn, an dem der massive Eisenhaken befestigt war, der normalerweise ins Pferdehalfter gehakt wird.
    Ich schwöre, dass ich Vio nicht gesehen habe. Ich hörte nur einen Schrei und dann hielt sich Vio den Kopf. Ein Büschel ihrer blonden Haare färbte sich erschreckend schnellrot. Sie war voll in den Radius meines »Lassos« gelaufen und das Eisenteil hatte ihr eine ordentliche Platzwunde beschert. Doch

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