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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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Woche hatte er sich so an das Kommen und Gehen des Krankenhauspersonals gewöhnt, dass die Anwesenheit einer anderen Person in seinem Zimmer nicht ausreichte, um ihn aufzuwecken. Dazu war mehr nötig. Etwas wie das Saugen, Herumrutschen und Ploppen eines Korkens, der aus der Flasche gezogen wurde, und darauf das leise Gluckern von Flüssigkeit in einem Plastikgefäß. »Carol«, ächzte er, als er die Puzzlestücke zusammengesetzt hatte. Im matten Licht der Stadt, das durch die dünnen Vorhänge hereindrang, konnte er ihren Umriss auf dem Stuhl neben dem Bett erkennen. Er tastete nach der Fernbedienung fürs Bett und richtete sich langsam auf.
    »Soll ich Licht machen?«, fragte sie.
    »Zieh den Vorhang zurück, lass ein bisschen mehr Licht von draußen herein.«
    Sie stand auf und tat, was er vorgeschlagen hatte. Als sie sich wieder gesetzt hatte, goss sie ihm ein Glas ein. Er roch anerkennend daran. »Wunderbar, ein guter Shiraz«, freute er sich. »Komisch, ich glaube, ich hätte guten Wein nicht als eines der Dinge genannt, die ich auf einer einsamen Insel am meisten vermissen würde. Das zeigt nur, wie ich mich irren kann.« Er nahm noch einen Schluck und spürte, wie er unweigerlich wieder in die Realität zurückkehrte. »Das muss ein schrecklicher Tag für dich gewesen sein«, sagte er.
    »Du hast keine Ahnung«, erwiderte sie. »Ich habe heute Dinge gesehen, die ich, glaube ich, nie wieder vergessen kann. Entsetzliche Verletzungen! Menschliche Körperteile überall auf der Tribüne verstreut. Blut und Gehirnmasse an den Wänden.« Sie nahm einen großen Schluck Wein. »Man denkt, man hat alles schon einmal gesehen. Man meint, es kann nichts Schlimmeres geben als die Tatorte, an denen man schon gearbeitet hat. Und dann das. Fünfunddreißig Tote durch die Explosion, und dann noch einer.«
    »Der eine ist der Bombenleger?«
    »Nein, dieser eine ist Tom Cross.«
    Er verschüttete vor Überraschung fast den Wein aus seinem Becher. »Popeye Cross? Das verstehe ich nicht. Er starb bei dem Anschlag?«
    Der Name seines alten Intimfeindes war der letzte, den er in Verbindung mit dem Bombenanschlag von Bradfield zu hören erwartet hätte.
    »Nein. Die Bombe hat anscheinend das versteckte Heldentum in ihm geweckt. Er war mittendrin. Man sagt, er hätte Leben gerettet. Nein, was ihn erledigt hat, war Gift. Bevor er zum Spiel ins Stadion kam, hat ihn jemand vergiftet.«
    »Vergiftet? Wie? Womit?«
    »Die Einzelheiten kenne ich noch nicht. Paula ist irgendwo im Krankenhaus, um die Informationen von der Ärztin zu bekommen, die es festgestellt hat. Eigentlich ein Glücksfall. Wegen des Bombenanschlags wurde sie der Notaufnahme zugeteilt und wegen Robbie Bishop war sie für die Symptome einer Vergiftung besonders aufgeschlossen.«
    »Das sind schon drei«, konstatierte er. »Und alle aus der Gegend hier. Sieht aus, als hättest du einen Serienmörder in deinem Einzugsgebiet, der mit Gift arbeitet.«
    Carol starrte ihn an. »Verschiedene giftige Substanzen, verschiedene Situationen. Verschiedene Arten der Verabreichung.«
    »Gleiche Unterschrift«, hielt Tony dagegen. »Mord aus der Entfernung. Gezielte Verabreichung. Zeitabstand zwischen Einnahme und Tod. Es gibt eine Verbindung zwischen ihnen, Carol. Heutzutage findet man nicht viele solche vorsätzlichen Vergiftungen. Sie sind durch Handfeuerwaffen und Scheidung abgelöst worden. Vergiftungen sind eher viktorianisch. Scheußlich, heimtückisch und zerstörerisch für Gemeinschaften und Familien. Aber sie sind nicht typisch für das einundzwanzigste Jahrhundert. Gib’s zu, Carol, du hast einen Serienmörder.«
    »Ich warte die Beweise ab«, beharrte sie störrisch. »Einstweilen ist Tom Cross’ Tod der einzige Mord, den ich tatsächlich untersuchen darf.«
    Ihr Zorn flackerte immer wieder auf. Er konnte ihre Wut, die sich als dunkle Bitterkeit über die süße Fruchtigkeit des Weins legte, fast schmecken.
    Tony versuchte, sich Carols Worte zu erklären. »Was meinst du damit, der einzige, den du untersuchen darfst?«
    »Sie haben uns den Bombenanschlag weggenommen«, antwortete sie. »Dieses neue Antiterrorkommando. Die unglückliche Vereinigung der Spezialabteilung mit der Terrorbekämpfung. Ihre nördliche Sektion hat ihren Sitz in Manchester, und nun sind sie in Bradfield mit ihren Stulpenstiefeln und ihrer Regel ›keine Namen‹. Wortwörtlich. Sie geben weder ihre richtigen Namen an noch haben sie Kennziffern. Sie behaupten, der Grund dafür sei, dass man

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