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Schleichendes Gift

Schleichendes Gift

Titel: Schleichendes Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
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und elend mit Tee in Plastiktassen, Wasserflaschen und Limonadendosen umher. Auf allen Stühlen saßen verwirrte und erschöpfte Verwandte der Verletzten, deren Kinder schliefen oder quengelten. Immer wieder schlichen sich Journalisten herein, gingen vom einen zum anderen und versuchten Äußerungen zu erhaschen, bevor sie erwischt und nach draußen verwiesen wurden. Die Abteilung war für gewöhnliche Notfälle geschlossen worden, was mitunter laute Auseinandersetzungen mit dem Sicherheitspersonal auslöste, Streitereien, die jeden Moment von Wortgefechten in Handgreiflichkeiten umschlagen konnten.
    Als Paula dort eingetroffen war, machten gerade zwei Betrunkene mit blutenden Gesichtern den Sicherheitsleuten Vorhaltungen. Sie war direkt auf sie zugegangen und hatte sich dem lauteren der beiden Aug in Auge und Fußspitze an Fußspitze gegenübergestellt. »Verpissen Sie sich jetzt, oder Sie können die Nacht in einer Zelle verbringen«, knurrte sie. »Wissen Sie nicht, was heute hier geschehen ist? Gehen Sie mit Ihren Kratzern woandershin.«
    Der Betrunkene dachte für den Bruchteil einer Sekunde nach, aber als er ihren unerbittlichen Gesichtsausdruck sah, wich er zurück. »Verdammte Bullenlesbe«, rief er, als er weit genug weg war.
    Die Sicherheitsbediensteten wirkten beinah beeindruckt. »Wenn wir ihnen so viel Dampf machen könnten, hätten wir nachts keine Probleme«, meinte einer und hielt ihr die Tür auf.
    »Ihr braucht offensichtlich mehr verdammte Bullenlesben, die euch zeigen, wie’s geht«, murmelte sie, während sie durch das Meer der bejammernswerten Menschen zum Empfangstresen vordrang.
    Sie sah nach oben zur Uhr. Zehn nach zehn. Ihr Gespräch mit Jana Jankowicz schien eine halbe Ewigkeit her zu sein. Eine junge Frau am Empfang mit einer Frisur aus vielen kleinen geflochtenen Zöpfchen und mit Fingernägeln, die man als Rennrodel für kleine Kinder hätte nutzen können, warf ihr müde einen kühlen Blick zu. »Ich suche Dr. Blessing«, sagte Paula und zeigte ihren Dienstausweis vor.
    Die Frau an der Anmeldung schniefte. »Ich sehe zu, was ich tun kann. Nehmen Sie Platz«, fügte sie automatisch hinzu.
    Paula hätte am liebsten zugleich gelacht und geweint. »Ich warte einfach hier, wenn das geht.« Sie lehnte sich gegen den Tresen, schloss die Augen und versuchte die störenden Hintergrundgeräusche auszublenden.
    Eine Berührung am Arm ließ sie zusammenzucken und wieder zu klarem Bewusstsein kommen. Elinor Blessing sah sie mit einem schwachen Lächeln an. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich dachte, nur Assistenzärzte schliefen tatsächlich im Stehen.«
    Paula lächelte. »Willkommen in meiner Welt«, meinte sie. »Danke, dass Sie sich mit mir treffen. Ich weiß, Sie haben heute vor Arbeit kaum ein Bein auf den Boden bekommen.«
    »Jetzt hat es nachgelassen«, sagte Elinor und führte Paula zurück in den Hauptflügel des Krankenhauses. »Wir haben so ziemlich alles getan, was wir hier unten tun können. Aber es gibt immer noch Patienten, die unbedingt aufgenommen werden müssen, und wir haben keine Betten mehr. Durch Sie blieb es mir erspart, überall anzurufen, um freie Betten zu finden, wo wir sie unterbringen können.«
    Schließlich erreichten sie einen Pausenraum der Ärzte im dritten Stock. Er erinnerte Paula an jeden ähnlichen Raum, in dem sie jemals gewesen war. Die gleichen angeschlagenen Stühle, die schon bessere Zeiten gesehen hatten, nicht zueinander passende Tassen und Hinweisschilder, dass man abwaschen, keine Kekse klauen und den Abfall in die Eimer werfen solle.
    Elinor holte zwei Becher Kaffee vom Automaten und stellte sie vor Paula hin. »Das dürfte Sie bis zur gleichen Zeit nächste Woche wachhalten. Es ist die starke Variante für Assistenzärzte.«
    »Danke.« Paula wusste nicht, warum diese Frau so nett zu ihr war, aber sie würde nichts dagegen unternehmen. Sie nahm einen Schluck Kaffee und fand keinen Grund, von Elinors Einschätzung des Gebräus abzuweichen. »Also Tom Cross. Sie glauben, dass er vergiftet wurde?« Paula nahm ihr Notizbuch heraus.
    Elinor schüttelte den Kopf. »Als wir vorhin davon sprachen, dachte ich das. Jetzt, da ich die Laborergebnisse bekommen habe, glaube ich es nicht nur. Ich weiß es.«
    »Schön. Und was sagen Ihnen Ihre Tests?«
    Elinor schob ihre Tasse hin und her. »Die meisten Ärzte bekommen eine Vergiftung nur zu sehen, wenn die Leute absichtlich oder versehentlich eine Überdosis nehmen. Wir werden nicht

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