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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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vernachlässigt. Es gab keine Gärten, keine Musik und keine Vergnügungen, die der Rede wert gewesen wären. Man brauchte fast einen Tag, um nach Lahore zum Ball zu fahren. Die Leute waren für jede kleine Unterhaltung dankbar.
    Ungefähr Anfang Mai, als es sehr heiß war, kurz vor dem »Auszug« der letzten zwanzig Leute in die Berge, veranstaltete Saumarez ein Mondschein-Picknick zu Pferde. Es sollte bei einem alten, sechs Meilen entfernten Grabmal nahe am Flußbett stattfinden. Man verließ den Ort wie die Arche Noah. Des Staubes wegen mußte man paarweise in viertelstündigem Abstand reiten. Es waren zusammen sechs Paare, die Anstandsdamen mit eingerechnet. Mondschein-Picknicks sind am Ende der Saison, ehe die jungen Mädchen alle in die Berge gehen, von Nutzen. Sie führen Verständigungen herbei und sollten darum von Ballmüttern begünstigt werden, besonders von denen, deren Schützlinge im Reitkleid am vorteilhaftesten aussehen. Ich kannte einmal einen Fall, – aber das ist eine andere Geschichte. Wir nannten dies Picknick das »große Verlobungs-Picknick«, weil wiralle wußten, daß Saumarez der älteren Miß Copleigh einen Antrag machen würde. Und außer dieser Sache gab es noch eine andere, die möglicherweise auch ihren glücklichen Abschluß finden konnte. Die Luft in der Gesellschaft war gewitterschwül und verlangte nach einer Entladung.
    Wir trafen uns um zehn Uhr auf dem Exerzierplatz. Die Nacht war entsetzlich heiß. Die Pferde kamen schon beim Schritt in Schweiß. Aber es war doch noch besser als das Stillsitzenmüssen in unseren dunklen Häusern. Beim Aufbruch im Vollmond waren wir vier Paare; eine Gruppe zu dritt, Saumarez mit den Copleighschen Mädchen, und ich. Während ich hinterdrein ritt, überlegte ich mir, mit wem Saumarez wohl nach Hause reiten würde. Alle waren glücklich und zufrieden, aber jeder fühlte die herannahenden Ereignisse. Wir ritten langsam, und es wurde fast Mitternacht, ehe wir das alte Grabmal erreichten. Wir wollten ihm gegenüber in dem verwüsteten Garten an der Zisternenruine essen und trinken. Ich kam etwas später als die andern und sah, ehe ich den Garten betrat, am nördlichen Horizont einen leichten, schwarzbraunen Wolkenstreifen. Allein mir hätte es wohl niemand gedankt, wenn ich ein so gut eingefädeltes Vergnügen wie dies Picknick verdorben hätte. Was hat denn auch schließlich ein Sandsturm mehr oder weniger zu bedeuten? Wir sammelten uns an der Zisterne. Einer hatte ein Banjo, – ein höchst gefühlvolles Instrument, – mitgebracht. Drei oder vier von uns sangen. Man lächle nicht darüber. Unsere Vergnügungen in den entlegenen Orten sind spärlich. Wir plauderten in Gruppen oder alle miteinander, lagen unter den Bäumen, warteten auf das Abendessen und ließen sonnverbrannte Rosen uns ihre Blätter zu Füßen streuen. Das Essen war herrlich, so gut auf Eis gekühlt, wie man es sich nur wünschen kann, und wir ließen uns Zeit.
    Ich hatte gefühlt, wie die Luft heißer und heißer wurde, aber die anderen schienen es erst zu merken, als der Mond plötzlich verlosch und ein brennendheißer Wind die Orangenbäume peitschte, daß sie aufrauschten wie das Meer. Ehe wir wußten, wie uns geschah, war der Sandsturm über uns, und alles eine einzige brausende, wirbelnde Finsternis. Der Eßtisch wurde buchstäblich in die Zisterne hinabgeblasen. Wir hatten Furcht, in der Nähe des alten Grabbaus zu bleiben, weil der Sturm ihn hätte umstürzen können. Darum tasteten wir uns zu den Orangenbäumen, wo die Pferde angebunden waren, um zu warten bis der Sturm sich gelegt hätte. Dann verlor sich auch der letzte Lichtschimmer, und man konnte nicht die Hand vor den Augen sehen. Die Luft war schwer von Staub und Sand aus dem Flußbett, der in Stiefel und Taschen drang, uns den Nacken hinabrieselte und Brauen und Bart bedeckte. Es war einer der schlimmsten Sandstürme des ganzen Jahres. Wir standen eng zusammengedrängt dicht bei den zitternden Pferden; der Donner krachte über uns, und die Blitze schossen wie Wasserstrahlen aus einem Schlauch nach allen Richtungen. Solange die Pferde sich nicht losrissen, war keine Gefahr. Ich stand geduckt mit dem Rücken gegen den Wind, mit der Hand vorm Mund und hörte, wie die Bäume sich peitschten. Erst als es blitzte, konnte ich sehen, wer bei mir stand, und entdeckte Saumarez mit der älteren Miß Copleigh dicht neben mir, und vor mir mein Pferd. Die ältere Miß Copleigh erkannte ich an ihrem Hutschleier, den die jüngere

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