Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen
daß alles ordnungsgemäß und schicklich vor sich gehen, und daß vor allem Saumarez erst den glücklichen Ausdruck Maud Copleighs auslöschen müsse. Wahrend ich meinem Pferd das Zaumzeug überwarf, dachte ich daran, wie er das wohl zuwege bringen würde.
Ich galoppierte hinter Edith Copleigh her und nahm mir vor, sie unter irgendeinem Vorwand gemächlich zurückzubringen. Aber sobald sie mich bemerkte, ließ sie ihr Pferd in noch schärferen Galopp fallen, und ich sah mich zu einer ernstlichen Verfolgung genötigt. Sie rief mir drei- oder viermal zurück: »Lassen Sie mich! Ich will nach Hause! Lassen Sie doch!« Aber meine Pflicht war, erst mit ihr zu unterhandeln, wenn ich sie eingeholt hatte. Der Ritt stimmte gut zu dem ganzen wüsten Traum. Der Boden war sehr schlecht, und von Zeit zu Zeit jagten wir durch wirbelnde, würgende Staubgespenster, Nachzügler des flüchtigen Sturmes. Es wehte ein brennend heißer Wind, der einen üblen Geruch wie aus dumpfigen Ziegelöfen mit sich führte. Und durch das Zwielicht zwischen den Staubgespenstern auf der weiten, öden Ebene schimmerte das graue Reitkleid auf dem grauen Pferde. Sie hielt anfangs auf die Stadt zu. Dann wendete sie nach dem Flusse und ritt durch ein Lager verbrannten Dschungelgrases, über das man nicht einmal hätte Schweine treiben mögen. Bei kühler Überlegung wäre es mir nicht im Traum eingefallen, nachts über solches Landzu reiten. Aber beim Zucken der Blitze und bei dem Höllengeruch schien es ganz richtig und natürlich. Ich ritt und schrie, und sie beugte sich vornüber und peitschte ihr Pferd vorwärts. Und der Sturm hielt Nachernte, packte uns und stieß uns vorwärts wie Fetzen Papier.
Ich weiß nicht, wie weit wir ritten; aber das Stampfen der Pferdehufe, das Brüllen des Sturmes, die Jagd des matten, blutigroten Mondes durch gelbe Nebel schien eine Ewigkeit gedauert zu haben. Ich war buchstäblich in Schweiß gebadet, vom Helm bis zu den Gamaschen, als der Graue vor mir strauchelte, wieder auf die Beine kam und stocklahm stillstand. Auch mein Tier war völlig erschöpft. Edith Copleigh war in einem traurigen Zustand, ohne Hut, von Staub überzogen, und weinte bitterlich. »Können Sie mich nicht in Ruhe lassen?« sagte sie. »Ich wollte doch nur nach Hause! Lassen Sie mich doch, bitte!«
»Miß Copleigh, Sie müssen mit mir zurück. Saumarez hat Ihnen etwas zu sagen.«
Ich hatte mich höchst einfältig ausgedrückt, aber ich kannte Miß Copleigh kaum und konnte ihr nicht in ein paar Worten sagen, was mir Saumarez gesagt hatte, wenn ich auch zum Schaden meines Pferdes Vorsehung spielen sollte. Saumarez würde es selbst besser können, glaubte ich. Alle ihre Vorwände, daß sie müde sei und nach Hause müsse, fielen zusammen. Ihr Schluchzen warf sie im Sattel hin und her; ihr schwarzes Haar flatterte im Wind. Ich wiederhole nicht, was sie gesagt hat, denn sie war völlig fassungslos.
Das war also die gefühllose Miß Copleigh! Und da stand ich, ihr fast wildfremd, und suchte ihr klarzumachen, daß Saumarez sie liebe und sie zurückkommen müsse, um es ihn selbst sagen zu hören. Ich glaube, es gelang mir, sie zu verständigen, denn sie riß den Grauen zusammen und ließ ihn, so gut es ging, den Weg zum Grabbau zurückhinken.Und der Sturm donnerte vorwärts nach Umballa. Die ersten großen lauen Regentropfen fielen. Ich erfuhr, daß sie dicht neben Saumarez gestanden habe, als er sich ihrer Schwester erklärte, und daß sie heimgewollt habe, um sich in Ruhe, – wie es sich für ein englisches Mädchen schickt, – auszuweinen. Sie betupfte im Weiterreiten unablässig ihre Augen mit dem Taschentuch und plapperte mir, um sich in ihrer Erregung zu erleichtern, alles vor. Es war vollständig unnatürlich und schien doch in jenem Augenblick ganz selbstverständlich. Die ganze Welt bestand nur aus den beiden Copleighschen Mädchen, Saumarez und mir. Wir waren alle eingeschlossen von Blitzen und Finsternis, und die Leitung dieser irregeleiteten Welt lag in meiner Hand.
Als wir in der düsteren Totenstille nach dem Sturme zum Grabbau zurückkamen, brach die Dämmerung an. Noch war niemand gegangen. Alle warteten auf unsere Rückkehr, Saumarez vor allem. Er war blaß und verhärmt. Als Miß Copleigh und ich heranhinkten, kam er uns entgegen, hob sie vom Pferde und küßte sie vor der ganzen Gesellschaft. Es war wie auf dem Theater, und diese Ähnlichkeit wurde noch erhöht, als die verstaubten, gespensterhaften Männer und Frauen unter den
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