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Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen

Titel: Schlichte Geschichten aus den indischen Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudyard Kipling
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auf der Bibliothek.) Sie handeln vom inneren Menschen, aber vom Standpunkt derer, die keine leiblichen Nöte kennen. Es war nicht verboten, sie zu lesen; aber Mc. Goggins Mama hätte ihn trotzdem dafür züchtigen müssen. Das Gelesene gärte in seinem Hirn, und er kam nach Indien mit höchst aufgeklärten Anschauungen über das Leben im allgemeinen und seine Arbeit im besonderen. Sein keineswegs sehr ausführliches Glaubensbekenntnis bewies nur, daß die Menschen ohne Seele, die Welt ohne Gott und das Leben ohne Auferstehung sei, und daß man sich zum Wohle der Menschheit eben irgendwie durchzuschlagen habe. Eine seiner Unterlehren war augenscheinlich die, daß es noch verbrecherischer sei,Befehle auszuführen, als Befehle zu geben. Wenigstens behauptete das Mc. Goggin. Ich glaube aber, er hatte nur seine Elementarbücher mißverstanden.
    Gegen den Glauben habe ich nichts einzuwenden. Er wurde in der Stadt geboren, in deren Nebel es nichts gibt als Maschinen, Asphalt und steinerne Bauten. Natürlich kommt da der Mensch allmählich zu der Überzeugung, daß es neben ihm nichts Höheres gibt, und daß das Stadtbauamt die Welt erschaffen hat. Aber hierzulande, wo man die Menschen als Menschen, – rohe, braune, nackte Menschen, unter dem freien, glühenden Himmel auf der allzuverbrauchten Erde vor Augen hat, da schwinden alle diese Theorien unmerklich dahin, und man kehrt zu einfacheren Vorstellungen zurück. Das Leben in Indien ist nicht lang genug, um es mit Beweisen vergeuden zu dürfen, daß das Weltall nicht von einem obersten Herrn geleitet wird. Und das ist verständlich. Denn der Deputierte steht über dem Beamten; der Regierungskommissar über den Deputierten; über dem Kommissar wieder der Unterstatthalter, und über allen denen der Vizekönig; und auch der steht wieder unter dem Staatssekretär, der dem Kaiser und König verantwortlich ist. Wenn nun der König keinem Höheren verantwortlich wäre, das heißt, wenn es überhaupt kein höheres Wesen gäbe, dann wäre unser ganzes Verwaltungssystem falsch, was natürlich völlig ausgeschlossen ist. In England kann man das den Leuten verzeihen, denn sie werden geistig verfüttert und nicht genug bewegt. Wenn man ein schweres, verfüttertes Pferd bewegt, schäumt und geifert es, bis man das Zaumzeug nicht mehr sieht. Aber es bleibt darum doch im Maule. In Indien wird kein Mensch verfüttert. Klima und Arbeit verbieten es, mit Worten wie mit Steinen um sich zu werfen.
    Hätte Mc. Goggin seinen Glauben samt allen Schlagworten auf »ismus« bei sich behalten, dann hätte ihn auchniemand danach gefragt. Aber seine Großväter waren Methodistenprediger gewesen, und der Hang zum Predigen brach bei ihm wieder durch. Alle Leute im Klub sollten zu der Einsicht kommen, keine Seele zu besitzen, und ihm helfen, den Schöpfungsgedanken zu tilgen. Er hatte ohne Zweifel keine Seele, da er noch zu jung war, und das sagten ihm viele Leute. Daraus folge aber nicht, daß seine älteren Vorgesetzten ebenso unentwickelt gewesen seien. Ob es nun eine jenseitige Welt gab oder nicht, diesseits wollte man wenigstens ungestört seine Zeitung lesen können. »Das gehört nicht zur Sache, das gehört nicht zur Sache,« pflegte Aurelian zu sagen. Darauf warf mau ihm Kissen an den Kopf und forderte ihn auf, sich in die Welt zu begeben, an der sein Glauben hing. Man taufte ihn »Blastoderm«, – denn nach seiner Behauptung entstammte er einer prähistorischen Familie dieses Namens, – und versuchte ihn durch geißelnden Spott zum Schweigen zu bringen. Er war eine Erzplage für den Klub und ein Ärgernis, besonders für die älteren Herren. Sein Vorgesetzter, der an der Grenze zu arbeiten hatte, während er auf der faulen Bärenhaut lag, sagte ihm ganz offen, er sei für einen gescheiten Jungen doch eigentlich ein recht großer Dummkopf. Er hätte, wenn er bei der Arbeit geblieben wäre, sehr bald einen Posten im Ministerium bekommen können. Männer seines Schlages sind stets dort zu finden; Männer, die ganz Gehirn sind, scheinbar körperlos und voll von tausend Theorien. Keine Menschenseele kümmerte sich weiter um Mc. Goggins Seele. Er hätte ihretwegen keine Seele, zwei Seelen oder auch die eines anderen haben können. Seine Pflicht war es, zu gehorchen und vor seinen Akten zu sitzen, statt den Klub mit seinen »Ismen« zu belästigen.
    Er war ein ausgezeichneter Arbeiter, aber er konnte keinen Befehl ohne Verbesserungsversuche hinnehmen. Daranwar wieder sein Glaube schuld, denn er

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