Schloß Gripsholm
einer um seine verzuckenden Minuten, die Tiere verschwanden fauchend und aufgeregt-satt durch die kleinen Gittertüren, der Sand wurde gefegt, und oben, in den höchsten Rängen, verbrodelte die letzte Lust, die das Leben am Leiden gefunden hatte. »Was hast du?« fragte die Prinzessin. »Nichts«, sagte ich.
»Ihr meint, wir gehn nachher noch mal an das Haus?« fragte Karlchen zweifelnd.
»Natürlich gehn wir«, sagte die Prinzessin. »Das Kind muß gieholfen werden – wir müssen helfen.« Und da stieg in mir etwas auf, es war eine so dumpfe Wut, daß ich aufstehen und tief einatmen mußte – verwundert sahen mich die beiden an. Plötzlich spürte ich dieselbe Lust an der Zerstörung, am Leiden der andern; diese Frau leiden machen zu können... O Wonne des guten und gerechten Kreuzzuges, du Laxier der Unmoral! Mit einem kalten Wasserstrahl löschte ich das aus, während ich ausatmete. Ich kannte den Mechanismus dieser Lust: sie war doppelt gefährlich, weil sie ethisch unterbaut war; quälen, um ein gutes Werk zu tun... das ist ein sehr verbreitetes Ideal. »Gehn wir?« Wir gingen.
Als wir das Haus wiedersahen, waren wir wie auf Kommando still. »Einer links, einer hinten herum«, sagte Karlchen. »Es muß aber einer bei der Prinzessin bleiben«, sagte ich. »Das Weib ist imstande und haut.« – »Dann geht ihr da«, sagte er. »Ich will es von links versuchen.« Wir schlichen näher.
Das Haus lag still, ganz still. Ob sie uns durch ein Fenster beobachtete? Wenn sie nun einen Hund hatte? Immerhin: es war ein fremdes Grundstück; wir hatten hier nichts zu suchen. Die Frau war im ius. Welch eine preußische Überlegung! Ein Kind litt. Los.
Still war alles. Weit sah man von hier hinaus, am Haus vorbei, ins Land. Da lag der Mälarsee, da das Schloß Gripsholm, rot, mit den dicken Kuppeln, und der Mischwald. Tannen und Birken.
»Pst!« machte die Prinzessin. Nichts. Karlchen war nicht zu sehen. Fragend sah ich sie an. Wir gingen langsam weiter und traten vorsichtig auf, als gingen wir auf Eis. War das ein Gesicht hinter einem Fenster – eine kreisrunde Scheibe...? Täuschung, es war ein Widerschein. Wir gingen nah am Haus vorbei. Die Prinzessin blickte überall umher. Plötzlich ging sie vorwärts – »Rasch!« sagte sie – sie lief auf einen weißen Fleck zu, der unweit des Hauses im Grase war... da lag ein kleines Stück Papier. Hinten wandelte Karlchen langsam am Zaun vorbei. Die Prinzessin bückte sich, sah das Papier an, hob es auf und schritt rasch weiter.
Wir beeilten uns, bis wir aus der Umgatterung heraus waren. »Na?« sagte Karlchen.
Die Prinzessin blieb stehn und las vom Papier: Collin Zürich Hottingerstrase 104.
Die Rückseite eines Kalenderblatts, und eine kraklige Kinderhandschrift. »Strase« war mit einem s geschrieben. »Dat harrn wi hinner uns!« sagte die Prinzessin. »Auf in den Kampf« – pfiff Karlchen.
Zurück nach Gripsholm.
4
Wir liefen durcheinander wie die Indianer, wenn sie sich auf den Kriegspfad begeben. Alle drei redeten mit einemmal. »Mal langsam –«, sagte das kluge Karlchen. »Telegraphieren... ihr seid ja verdreht. Wir schreiben jetzt erst mal an die Frau einen vernünftigen Brief. Und da muß drinstehn...«
Was sich nun begab... das möchte ich nicht noch einmal durchmachen. Es war eine Schlacht. Es wurde nicht ein Brief geschrieben – es wurden vierzehn Briefe geschrieben, immer einer nach dem andern, dann drei zu gleicher Zeit, und während ich auf meiner Maschine herumhackte, bis sie heiß wurde, schrieben die beiden andern emsig ihre Bogen voll. Es war wie eins dieser altmodischen Gesellschaftsspiele (»Was tut er? – Was tut sie? – Wo lernten sie sich kennen?«), und jeder wollte zuerst seins vorlesen, und jeder fand seinen Schrieb am allerschönsten und am allerfeinsten und die der andern von oben bis unten unmöglich. »Unmöglich!« sagte die Prinzessin. »Dat is ja Kinnerkram is dat ja!« – Ich wollte etwas erwidern. »Du bischa so klug«, sagte sie. »Du schast ock mit na Pudel sin Hochtid! Nu do mi dat to Leev...«, und dann fing alles wieder von vorn an.
Schließlich blieben drei Entwürfe übrig – zur engern Wahl. Karlchen hatte einen juristischen Brief geschrieben, ich einen feinen und die Prinzessin einen klugen. Und den nahmen wir.
Darin war knapp und klar erzählt, was wir gesehen hatten, und daß wir uns nicht in die Collinschen Familienangelegenheiten einmischen wollten und daß sie nur ja nicht an die Frau schreiben sollte, das
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