Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)
versucht,
über die beiden s von Strassburger zu kritzeln. Hier, auf der Klarsichtfolie hält
die Farbe natürlich nicht, aber man kann erahnen, wie fest derjenige draufgedrückt
hat.«
»Strassburger mit Doppel-s ist ja auch falsch.«
»Deshalb die verweigerte Annahme.«
»Echt?« Er tippte sich mit fettglänzendem Finger gegen die Stirn. »Wer
macht denn so was?«
»Das würde ich auch gern wissen. Kommst du mit?«
»Jetzt gleich?« Er sah mir verblüfft zu, wie ich den Brief wieder einsteckte,
den Rucksack aufzog und zahlte.
»Natürlich jetzt gleich! Was ist, Fatty?«
»Ich komme ja schon«, brummte er und stürzte sein Bier hinunter. Gemeinsam
brachen wir auf in den Regen.
»Wir gehen durch den Garten«, entschied ich. Der Weg um den Block bis
zum Vordereingang von Bökers Häuschen war unnötig weit. Fatty staunte nicht schlecht,
als ich über den demolierten Zaun stieg und mich durch das Gestrüpp kämpfte. Wie
vor einer Woche sogen sich Schuhe und Hosenbeine sofort voll Wasser.
»Gibt das keinen Ärger?«, fragte er von hinten, den Mund noch immer
halb gefüllt mit Feuerwurst.
»Nicht für uns.« Einen Moment lang überlegte ich, mir auf andere als
legale Weise Zutritt zum Haus zu verschaffen, verwarf diesen Gedanken aber sofort
wieder. Böker war ein alter Mann, den man nicht wie einen Verbrecher behandeln durfte.
Also läutete ich brav an der Haustür.
»Nummer 10«, stellte Fatty fest. »Ist er das, der Herr Oberlehrer?«
»Lehrer, ja.«
Die Tür öffnete sich einen Spalt. Das Männchen mit dem spärlichen Haarwuchs
und der dicken Brille lugte nach draußen.
»Hallo, Herr Böker«, sagte ich. »Entschuldigung: Dr. Böker. Erinnern
Sie sich an mich?«
»Ja?«, lautete die unentschiedene Antwort. Die Tür wurde ganz geöffnet.
»Ich war letzte Woche bei Ihnen im Garten und hatte etwas gesucht.«
Böker lächelte unsicher. »Kommen Sie wegen des Zauns?«
»Wegen dem Zaun, genau«, sagte ich und betonte das dem. Aber mehr als
ein Stirnrunzeln ließ sich der alte Mann durch die Dativverwendung nicht entlocken.
Kopfnickend trat er zur Seite und bat uns herein. Er trug dieselbe Strickweste und
dieselben Pantoffeln wie eine Woche zuvor. Nur Hemd und Hose schien er zwischenzeitlich
gewechselt zu haben. Im Wohnzimmer hingen die Bilder noch immer schief, die Sonnenblume
in der Ecke war ein weiteres Stück zerbröselt, auf dem Schreibtisch stapelten sich
die Papiere.
»Ich kann Ihnen leider nichts anbieten, meine Herren«, schallte Bökers
hohe Stimme durch den Raum. »Seit meine Frau tot ist, habe ich kaum noch Gäste.«
»Das macht nichts, Dr. Böker. Um den Zaun kümmern wir uns gleich. Vorher
hätte ich eine Bitte. Herr Sawatzki hier ist von der Stadt beauftragt, sämtliche
Waffenbestände der Bürger zu kontrollieren. Ob sie vorschriftsgemäß verwahrt sind
und diese Dinge. Würden Sie ihm bitte Ihre Waffen zeigen?«
Verständnislos starrte der alte Mann mich an. Seine Lippen zitterten
leicht.
»Sie haben doch eine Waffe, Dr. Böker, oder?«
»Ja, natürlich«, nickte er. »Schon immer. Ich war im Verein.«
»Und wo ist sie?«
»Im Keller. Im Schrank.«
»Würden Sie ihn bitte aufsperren? Anschließend sehen wir nach Ihrem
Zaun.«
»Ich habe keinen Schlüssel«, flüsterte er. »Ich … ich finde ihn nicht
mehr. Meine Frau wusste, wo er aufbewahrt wird, aber sie ist ja tot.«
»Keinen Schlüssel?«
Er schüttelte den Kopf. Seine Brille stand über dem linken Ohr etwas
nach oben.
»Geh trotzdem mal nachsehen«, bat ich Fatty. »Wo ist Ihr Keller, Dr.
Böker?«
Im Flur gab es eine Tür, hinter der eine Treppe in die Tiefe führte.
»Ich bleibe lieber oben«, flüsterte der Mann. »Die Stufen …«
Ich nickte. Während Fatty in Bökers Keller stieg, wartete ich zusammen
mit dem Alten im Flur. Er warf mir unsichere Blicke zu, auf die ich mit einem beruhigenden
Lächeln antwortete.
»Das war schon im Herbst«, sagte er schließlich. »Das mit dem Zaun,
meine ich. Betrunkene, mitten in der Nacht.«
»Haben Sie keine Kinder, Herr Böker?«
Er schüttelte den Kopf.
»Max!«, tönte Fattys Stimme von unten herauf. »Kommst du mal?«
»Bin gleich wieder da«, sagte ich und eilte die Treppe hinunter. Unten
roch es muffig. Fatty stand vor einem hohen, schmalen Schrank, der Halterungen für
mehrere Schusswaffen aufwies. Einziges Problem: Da war keine Waffe mehr.
»Wie hast du den aufgekriegt?«, flüsterte ich.
»Gar nicht«, gab er leise zurück. »Er war offen, Max!«
»Und nichts
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