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Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition)

Titel: Schlossblick: Kollers fünfter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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Glotze holte
Marc zum Gegenschlag aus. »Wie war das damals, im März 2010?«, rief er und zückte
ein Blatt Papier. »Ich zitiere die Ärztliche Leitung der Klinik: Wir sind stolz
darauf, dass das Universitätsklinikum Heidelberg die medizinische Betreuung des
ägyptischen Präsidenten übernehmen durfte. Und an anderer Stelle: Er hat die Herzen
all derer, die ihn betreut haben, in einer Weise berührt, die seinen aufrichtigen
Charakter und sein offenes Wesen widerspiegeln. Ich und mein Team sind stolz darauf
und fühlen uns geehrt, dass wir den Präsidenten medizinisch versorgen durften. Bitte
entschuldigen Sie, Frau Dr. Schaar, aber was ist denn das für ein Gesülze? Das hat
doch nichts mehr mit Versorgung eines Patienten zu tun, sondern mit Politik! Wo
bleibt denn da die Gleichbehandlung?«
    »Was Sie Gesülze nennen, lieber Herr Covet …«
    »Stellen Sie sich nur einmal vor, ich ließe mich bei Ihnen operieren.
Ich, Otto Normalverbraucher. Wäre Ihr Ärztlicher Direktor dann genauso stolz? Natürlich
nicht! Hier ging es um Geld, um Medizinpolitik, und da hat sich die Klinik mit einem
Diktator eingelassen – nicht anders als die deutsche Außenpolitik.«
    »Ein Freund von mir.« Ich zeigte mit dem Glas auf Marc. »Hat seinen
großen Auftritt heute. Ich kann das aber auch ausmachen, wenn es dich stört.«
    Inez lehnte ihren Kopf an meine Schulter. Warum war sie zu mir gekommen?
Ich meine, ausgerechnet zu mir, der ich eine gewisse Mitschuld trug an ihrer ganzen
Misere? Längst hätte ich den Fernseher ausschalten müssen, aber wann bekam man einen
Kumpel schon mal live im Studio zu sehen?
    Außerdem fürchtete ich mich vor der Stille, die dann herrschen würde.
    »Fragen wir uns doch einmal«, hörte ich Covets Stimme, »was passiert
ist zwischen März 2010 und heute. Hat sich unser medizinisches Ethos verändert?
Nein. Hat sich der Patient geändert, um den es geht? Auch nicht. Ein Gewaltherrscher
war der Mann schon immer. Damals aber wurde ihm ein roter Teppich ausgelegt, während
man ihn heute nur heimlich empfangen kann. Was also hat sich geändert? Ich sage
es Ihnen, Frau Dr. Schaar: unsere Wahrnehmung. Unsere moralischen Maßstäbe. Plötzlich
fassen wir nur noch mit Fingerspitzen an, was wir früher hofiert haben! Und genau
das ist der Punkt: Wir Deutschen müssen uns fragen, ob wir nicht einen verlogenen
Umgang mit den Despoten Nordafrikas gepflegt haben. Ob wir uns nicht mitschuldig
gemacht haben an der jahrelangen Unterdrückung von ganzen Völkern.«
    »Wo holt er das nur her?«, murmelte ich. Inez stand auf und ging zum
Fenster. Dann begann sie, an ihrer Bluse herumzunesteln.
    »Natürlich hat sich etwas geändert, Herr Covet. Immerhin wurden während
der ägyptischen Revolution Hunderte von Menschen getötet, und der ehemalige Präsident
wird dafür möglicherweise die Verantwortung übernehmen müssen.«
    »Ach, und vorher war er ein lupenreiner Demokrat? Sehen Sie, genau
das ist die Verlogenheit, von der ich gesprochen habe.«
    »Was machst du denn da?«, stotterte ich. »Inez!«
    Herrgott, das Mädchen war dabei, sich auszuziehen! Oder zumindest die
Bluse auszuziehen – für begriffliche Exaktheit blieb jetzt keine Zeit. In der Glotze
ging es um alles oder nichts, Daniel lag mit verätztem Kopf im Krankenhaus, von
Fikret ganz zu schweigen, aber Inez hatte nichts Besseres zu tun, als in meinem
Wohnzimmer einen Striptease hinzulegen! In unserem Wohnzimmer, genauer gesagt,
denn so viel Exaktheit wiederum musste sein, wenn sich die eigene Gattin – Exgattin!
– nur zwei Türen entfernt befand.
    »Hör auf, Inez!«, beschwor ich sie.
    Aber alles, was ich erntete, war ein Blick, ein so trauriger, verlorener
Blick, dass es mir kalt über den Buckel lief. Schweigend öffnete sie den letzten
Blusenknopf, dann kam sie auf mich zu. Von ihrer puren Anwesenheit wurde ich in
meinen Sitz gedrückt wie ein Formel-1-Pilot beim Start. Wetten, dass gleich Christine
hereinplatzen würde?
    Erst als Inez direkt vor mir stand, sah ich es. Ihre Brust war großflächig
vernarbt. Zwischen Brustbein und Bauchnabel bestand ihre Haut aus einem unansehnlichen
Muster von Wülsten, Knoten und Dellen. Eine Landschaft der Versehrtheit, die bis
unter ihren Büstenhalter reichte.
    Längere Zeit passierte nichts. Sie stand da, ich glotzte sie an. Hitze
und Kälte schwappten abwechselnd durch meinen Körper. Dann merkte ich, wie meine
Finger nach der Fernbedienung suchten. Ein kurzer Druck mit dem Daumen, und Covet
verschwand

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