Schlüsselherz (German Edition)
Charles doch ist!“ Er sah sich bereits an tröstlich weiche Brüste g e drückt … Wirklich eine Idee, die er sich merken würde.
Aber nicht jetzt. Nein, nun galt es, sich zu sputen, denn auch wenn er es sich in der Londoner Gesellschaft leisten konnte, das Zuspä t kommen als Markenzeichen zu etablieren, und mit Mumienbestan d teilen in Haar und Bart erscheinen durfte, so galt das nicht für die Person, die er heute im White Hart Buckingham Hotel zu besuchen gedachte. Rasch wischte er sich mit einem in Terpentin getränkten Lappen die Reste des ihm unbekannten , pulverisierten und in Öl g e lösten Ägypters aus dem Gesicht. Er stürmte durch das Atelier, suchte seinen Gehrock und fand die graue Mrs Charles darauf gebe t tet. Mit einem Ruck zog er sein Kleidungsstück unter dem Tier fort wie ein Tischtuch unterm Geschirr. Die Katze sprang mit einem empörten Fauchen in die Luft.
„ Du wirst verzeihen, Mrs Charles, aber ich bin in Eile“, rief Nathaniel ihr über die Schulter zu, während er aus dem Haus stür m te und sich mit kurzen Bewegungen die Katzenhaare von der Brust strich.
„ Mutter erwartet mich.“
***
Melissa saß auf dem Perserteppich vor dem hohen Bogenfenster und ließ ihr neues Holzpferd das Webmuster entlang galoppieren und über die Sonnenstrahlen springen. Sie warf Valender einen begeiste r ten Blick zu und imitierte ein Pferdeschnauben. Speicheltropfen tr a fen Valender und machten ihn glücklich. Es war nicht einfach, M e lissa Geschenke zu machen. Oft reagierte sie unwirsch, was ihn fast verzweifeln ließ, da er nicht verstand, was sie an den Spielsachen auszusetzen hatte.
Er erinnerte sich an Cera, die im Park nach ihrer Tanzdarbietung gleich erkannt hatte, weshalb Melissa wütend geworden war. Ach, verdammt, jetzt dachte er schon wieder an sie. Spätestens seitdem sie ihn mit der Tatsache erstaunt hatte, komplizierteste Rechenapparat u ren zu programmieren, wozu man nach allem, was Valender wusste, ein umfangreiches Studium benötigte, spukte die intelligente kleine Tanzpuppe permanent in seinem Kopf herum.
Gut hieß er das nicht.
Aber nun fort mit den Gedanken, er würde sie früh genug wiede r sehen. Schon heute Abend, wenn er nach der letzten Vorstellung mit ihr gemeinsam das Thamse-Theatre der verdächtigen Witwe Maca l listor aufsuchte. Doch jetzt wollte er sich auf Melissa konzentrieren, er sah sie viel zu selten, um sich während der Besuche noch Geda n ken um anderes zu machen.
„ Darf ich mitspielen, Schwesterchen?“
Melissas schöne Augen strahlten, sie griff nach einem Bilderbuch und reichte es ihm.
„ Möchtest du das ansehen?“
„ Naa.“
„ Soll ich vorlesen?“
Melissa schlug mehrmals mit dem Holzpferd auf den Boden. „Na!“ Als er immer noch nicht begriff, nahm sie ihm das Buch weg, warf es auf den Teppich und ließ die hölzernen Hufe des Pferdes darauf klappern.
Valender verkniff sich das Seufzen. Melissa zu beschäftigen war eine Herausforderung, bei der er oft zu scheitern drohte. Er fühlte sich beklommen in ihrem Zimmer, das eingerichtet war wie das einer alten Frau, mit H underten von dicken, ernsten Büchern auf Reg a len, die so hoch waren, dass Melissa sie ohnehin nicht erreichen konnte, mit bemalten Porzellantellern an den Wänden und Vasen ohne Bl u men. Ungeachtet dessen spielte Melissa zufrieden weiter und beac h tete ihren Bruder kaum. Alles, was er tun konnte, war, da zu sein.
Wenig später hörte Valender schwere Schritte auf der Treppe, und ohne zu klopfen, betrat sein Vater das Zimmer.
„ Es wird Zeit, dass du gehst, Valender, der Doktor wird gleich hier sein.“
Phillip Beazeley, ein untersetzter Mann, dem viele trübe Jahre als gräuliche Falten im Gesicht standen, sah seinen Sohn selten an, wenn er mit ihm sprach. Er nahm Melissa das Bilderbuch und das Holzpferd weg, worauf sie leise zu wimmern begann, und verstaute beides in verschlossenen Schränken.
„ Der Doktor kommt doch, mein Liebes“, erklärte er und hob sie unter den Achseln an, um sie ins Bett zu legen. „Hilf mir doch, Va l ender, nimm ihre Beine.“
Melissa schlug unbeholfen nach ihm und zeigte mit Lauten deu t lich an, dass sie nicht ins Bett wollte.
„ Warum kann sie nicht einfach weiterspielen?“, fragte Valender und kam sich linkisch dabei vor, wie oft, wenn er seinem Vater w i dersprach, was selten genug der Fall war.
„ Valender.“ Phillip Beazeley musste nicht laut werden, er senkte schlicht seine Stimme, um ihr eine tiefere
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