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Schlüsselherz (German Edition)

Schlüsselherz (German Edition)

Titel: Schlüsselherz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liv Abigail
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fehlerfrei seine Pflicht – Pirouetten, Sprünge, Arabesquen –, aber ihre Gedanken waren weit fort. Sie sann über die Recherchen im KSS nach, die Va l ender und ihr natürlich keine Lösung offenbart hatten. Allerdings wussten sie nun von einem Empfang, den die Witwe Macallistor g e ben würde und der die Gelegenheit bot, auch Mr Charles kennenz u lernen und seinen Absichten auf den Zahn zu fühlen. Cera kannte diesen Mann nicht, hatte seinen Namen nie gehört. Die Vehemenz, mit der Mr Charles eine von ihren Schwestern hatte kaufen wollen – was sie durch Valender erstmals erfahren hatte –, beunruhigte sie. Aber es war auch eine Chance, wenn sie mutig genug war, ihm sich mit Geschick und List als Köder anzubieten. Cera wusste, dass sie mit der einen oder anderen nicht ganz positiven Charaktereige n schaft bedacht war – aber Feigheit zählte nicht dazu. Wenn dieser Mr Charles ein gesteigertes Interesse an ihrer Art hatte, dann würde sie es herausfinden.
    Von diesen Plänen hatte sie Valender natürlich nichts erzählt; er machte nicht den Eindruck, viel für verwegene s Bestreben übrig zu haben. Ihr Solo war an der Reihe, sie wischte die Gedanken fort, um zumindest diese paar Momente lang, im Fokus von dreihundert A u genpaaren, all ihre Aufmerksamkeit dem Tanz zu schenken. Sie tan z te in Sprüngen in die Mitte der Bühne, ihre mit Satin umwickelten Spitzenschuhe knallten auf den Bohlen wie Pistolenschüsse und überlagerten die Musik. Früher hatte das Orchester dies ausgegl i chen, indem die Musiker lauter gespielt hatten. Kräftiger – Cresce n do! Seit einiger Zeit jedoch kam die Musik vom Band, und wenn man genau hinhörte, dann vernahm man das sachte Pumpen von den Kolben der Dampfmaschine, die das Grammofon und seinen Verstärker antrieb. Cera konzentrierte sich auf ihre gedrehten Foue t tés. Doch plötzlich brachte sie etwas aus der Fassung. Etwas, das sie nicht greifen konnte; etwas Verwirrendes, etwas … das nicht richtig war. Sie blinzelte gegen die Gleißdrahtlampen an, die mit ihrem u n natürlich weißen Licht die Bühne fluteten, konnte im dunklen Z u schauerraum aber kaum etwas erkennen. Eine Silho u ette huschte den Gang entlang und ließ sich an einem Randplatz nieder, vielleicht j e mand, der von der Toilette zurückkehrte oder zu spät gekommen war. Auf der anderen Seite fächerte sich ein Zuschauer mit dem Pr o grammheft Kühlung zu, irgendwo hüstelte verhalten eine Dame. Cera fühlte Blicke. Nicht die des Publikums, an diese hundert gier i gen Augenpaare war sie gewöhnt. Nein, es waren Blicke einer ganz bestimmten Person. Einer Person, die ihr nichts Gutes wollte. Sie brannten fast auf ihrer Haut, zäh wie Wachsspritzer, o b gleich die Luft durch das Tempo, in dem sie sich drehte, alles Schlechte hätte fortstreichen müssen.
    Cera starrte ins Publikum, blinzelte, aber sie erkannte nur Sch e men, keine Gesichter. Die Drehungen waren zu schnell, die Ränge zu düster. Dort, wo sich der Zuspätkommende niedergelassen hatte, sah sie die Umrisse eines melonenförmigen Hutes, verharrte einen Moment zu lang und geriet ins Straucheln. Sie kippte zur Seite, ve r suchte sich zu fangen, aber landete auf dem Knie. Der Aufprall ve r tonte ihren Patzer mit einem Krachen wie von brechendem Holz. Am Bühnenrand hörte sie ihre Freundin Esra heftig Luft holen, und einen Augenblick fürchtete Cera, ihr Knie sei gebrochen. Verstört hockte sie auf den Bühnenbrettern, inmitten eines Halos aus Licht, und starrte in die Dunkelheit, in der das Publikum verborgen war und in seiner Mitte wiederum einen Einzelnen verbarg, der sie mit einem entsetzlichen Hunger ansah, den sie bis auf den Grund ihrer Seele spürte.
    Er war hier.
    Und Cera fühlte sich inmitten ihrer Schwestern plötzlich so allein wie nie zuvor in ihrer ganzen Existenz.
    Farina zischte ihr etwas zu. Cera rappelte sich auf. Beim Dschinn, das hätte nicht passieren dürfen! Ihr Knie war in Ordnung, sie hatte noch mal Glück gehabt. Aber das Publikum hatte sie verloren, die Menschen rückten auf den Stühlen hin und her, räusperten sich oder murmelten den Nachbarn Kommentare zu. Frustriert, dass ein Ve r dacht und ein vages Gefühl sie so hatten ablenken können, tanzte Cera ihr Solo statisch zu seinem Ende und verzichte darauf, sich zum Schluss, wenn die Pause eingeläutet wurde, am Bühnenrand feiern zu lassen. Würde heute jemand auch nur eine Papierblume werfen, so wüsste Cera, sie wäre nicht verdient. Zum Ende der Vo r stellung wies

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