Schluß mit cool (German Edition)
Schönheitspflege, war das Ergebnis nicht wirklich berauschend.
Ihre Geschichte ging so: Sie und ihr Freund Howard, mit dem sie zusammenlebte, waren Naturliebhaber – jedenfalls war Howard einer –, und kurz bevor die Pest ausbrach, waren sie zu einer längeren Wanderung auf einer Reihe von miteinander verbundenen Pfaden durch die Golden Trout Wilderness losmarschiert. Sie waren gut ausgerüstet und hatten den erlesensten Proviant dabei – Howard leitete ein Fachgeschäft für Campingzubehör –, und die ersten drei Wochen lief alles nach Plan. Sie aßen köstliche gefriergetrocknete Fettuccine Alfredo und Couscous mit Krabben, tranken Cognac aus der Feldflasche und schliefen miteinander im Schutz von Propylen, Goretex und Nylon. Moskitos und Pferdebremsen kosteten ihr Blut, aber sie fühlte sich großartig, wie wiedergeboren und befreit von Straßenlärm und Smog und ihrem armseligen Schreibtisch in einer armseligen Ecke der Elektronikfirma, die ihr Vater gegründet hatte. Dann, eines Morgens, sie campten an einem Bach, brach Howard mit Tagesrucksack und Angelrute bewaffnet auf und kehrte nie zurück. Sie wartete. Sie suchte. Sie schrie, bis sie heiser war. Eine Woche verrann. Jeden Tag suchte sie in einer anderen Richtung, ging sowohl bachaufwärts wie bachabwärts und verfolgte noch die winzigsten Zuflüsse und Rinnsale, bis sie sich irgendwann verlaufen hatte. Alle Bäche sahen gleich aus, die Hügel und Berge gaben sich nichts. Sie hatte drei Müsliriegel bei sich und eine große Tüte Erdnüsse, aber kein Zelt und keine gefriergetrockneten Hauptspeisen – das lag alles in dem Lager, das sie und Howard in glücklicheren Zeiten aufgeschlagen hatten. Ein kalter Regen setzte ein. In jener Nacht waren keine Sterne zu sehen, und als sich etwas im Unterholz neben ihr regte, wurde sie von Panik gepackt und rannte blindlings durch die Finsternis, schlug sich die Schienbeine blau und ruinierte sich das Gesicht, die Haare und die Kleidung. Seither war sie immer nur umhergewandert.
Ich machte ihr eine chinesische Nudelsuppe aus der Packung warm, gab ihr Seife und Handtuch und zeigte ihr die primitive Dusche, die ich über der uralten Badewanne gebastelt hatte. Ich hatte Angst, sie zu berühren oder ihr auch nur zu nahe zu kommen. Sicher war ich überängstlich. Aber wer wäre das nicht, wenn gerade neunundneunzig Prozent der Menschheit am Lufthauch eines einzigen Niesens verreckt sind? Außerdem hatte ich bereits sämtliche Angewohnheiten eines Einsiedlers angenommen – ich redete mit mir selbst, vollführte alle möglichen komplexen Rituale beim Zubereiten meiner zum Glück reichlichen Vorräte, kramte einzelne Zeilen von Liedern meiner Grundschulzeit und die Melodien von Bierreklamespots aus den Tiefen meines vollgestopften Gehirns –, und es ärgerte mich, daß jemand in diese Privatsphäre eindrang. Trotzdem . Und trotzdem hatte ich das Gefühl, Sarai sei mir von einer höheren Macht geschickt und ebenso gesegnet worden wie auch ich: die Infektion hatte uns beide verschont. Wir hatten überlebt. Und wir waren nicht einfach versprengte Überbleibsel einer egoistischen, mißtrauischen und zerfallenen Gesellschaft, sondern die Grundlage, das Fundament einer neuen. Sie war eine Frau. Ich war ein Mann.
Anfangs glaubte sie mir nicht, als ich mit einer vagen Geste den Gebirgszug hinter der Hütte und alles, was jenseits lag, bezeichnete und sie davon in Kenntnis setzte, daß die Apokalypse gekommen und die Welt entvölkert sei, daß sie und ich zu den wenigen Überlebenden gehörten – und wer mochte ihr das verübeln? Während sie meine Suppe löffelte, meine Pfannkuchen verschlang, ihre Wunden und Schrammen mit meiner antibiotischen Salbe und das Haar mit meinem Shampoo pflegte, muß sie wohl angenommen haben, einen Wahnsinnigen als Retter gefunden zu haben. »Wenn du mir nicht glaubst«, sagte ich und griente dabei, so krank das auch klingen mag, »dann probier doch mal das Radio.«
Sie musterte mich mit dem wachsam scheelen Blick der einzigen Frau bei klarem Verstand in einem Irrenhaus voller Hochstapler, steckte das Kabel in die Steckdose und drehte mit der Sorgfalt einer Safeknackerin am Senderknopf. Was sie hereinbekam, war reine Statik – nicht einmal Dynamik, nur ein einziges dumpfes Kontinuum –, aber sie starrte mich nur an, als hätte ich das Ding irgendwie manipuliert, um sie zu täuschen. » Ach was! « fauchte sie, mager wie ein Flüchtlingskind, das Haar kraus und mit Hilfe meines Shampoos
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