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Schluß mit cool (German Edition)

Schluß mit cool (German Edition)

Titel: Schluß mit cool (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C Boyle
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Bodenbrettern, als ich von lautem Stöhnen und gleich darauf einem Fluch überrascht wurde. »Oh, Kacke, verdammte!« rief eine weibliche Stimme aus. »Mach die verfluchte Tür auf! Hilfe, verdammte Scheiße, Hilfe!«
    Ich war schon immer ein vorsichtiges Wesen. Das mag eine meiner großen Schwächen sein, wie mir meine Mutter und später meine Kumpel im Studentenheim ständig unter die Nase gerieben haben, andererseits könnte diese Eigenschaft auch meine größte Tugend darstellen. Sie hat mich am Leben erhalten, während der Rest der Menschheit rasch und brutal ausgerottet wurde, und sie lenkte auch jetzt meine Entscheidung. Die Tür war verriegelt. Sobald mir klargeworden war, was draußen in der weiten Welt vorging, hatte ich mir angewöhnt, meine Hütte – trotz meiner Verzweiflung und trotz der Tag und Nacht in mir nagenden Einsicht in die radikale Veränderung von allem, was ich bisher gekannt hatte – für Eventualitäten wie diese hier abzuschließen. »Scheiße!« wütete die Frau vor der Hütte. »Ich kann dich da drin hören, du Drecksau – ich kann dich sogar riechen !«
    Ich rührte keinen Muskel und hielt den Atem an. Das statische Rauschen knisterte kummervoll aus den Lautsprechern, und ich wünschte, ich wäre klug genug gewesen, das Radio schon vor langem auszuschalten. Ich starrte auf mein halbgeschlagenes Rührei hinab.
    »Hey, ich sterbe hier draußen!« schrie die Frau. »Ich verhungere – bist du schwerhörig da drin, oder was? Ich sagte, ich verhungere !«
    Damit stand ich natürlich vor einem moralischen Dilemma. Da war ein Mitmensch und bedurfte meiner Hilfe, ein Angehöriger einer Spezies, deren Seltenheitswert soeben in lichte Höhen hinaufgeschnellt war, wo sich in der dünnen Atmosphäre aussterbender Arten sonst nur Fliegenschnäpper, Kondor und Belugawal tummelten. Ihr helfen? Natürlich wollte ich ihr helfen. Gleichzeitig aber wußte ich: wenn ich die Tür öffnete, lud ich mir die Pestilenz ins Haus, und drei Tage später wären von uns beiden womöglich nur noch die sterblichen Überreste da.
    »Aufmachen!« verlangte sie, und das Trommeln ihrer Fäuste ging als Schicksalsgewitter auf die dünnen Bretter der Tür hernieder.
    In diesem Moment schoß mir durch den Kopf, daß sie gar nicht angesteckt worden sein konnte – sonst wäre sie ja längst mausetot. Vielleicht war es ihr so ergangen wie mir, vielleicht hatte sie allein in ihrer eigenen Hütte herumgehockt oder war in den Bergen gewandert, völlig ahnungslos und immun gegen die weltweite Katastrophe. Vielleicht war sie wunderschön und sexy, eine neue Eva für eine neue Zeit, vielleicht würde sie mir Nächte der Leidenschaft und Tage des Glücks bereiten. Wie in Trance ging ich durch die Hütte und stand nun an der Tür, meine Finger lagen auf dem langen Messingschaft des Riegels. »Bist du allein?« fragte ich, und das Knarren der eigenen Stimme, die so lange nicht mehr in Gebrauch war, klang fremd in meinen Ohren.
    Ich hörte, wie sie auf der anderen Seite des dünnen Holzbretts, das uns trennte, vor Überraschung und Empörung nach Luft schnappte. »Zum Teufel, was glaubst du wohl, du Mistkerl – ich hab mich in diesem beschissenen Wald da draußen verlaufen, weiß gar nicht, wie lange ich schon herumirre, und ich hab seit Tagen nichts mehr gegessen, keinen verdammten Bissen im Mund, nicht mal Baumrinde oder Gras oder eine Handvoll durchweichtes Studentenfutter. Also würdest du jetzt endlich diese Scheißtür aufmachen! «
    Trotzdem zögerte ich noch.
    Da hörte ich einen durchdringenden Laut, der mich traf wie ein Skalpell und mich von oben bis unten aufschlitzte: sie weinte. Rang nach Luft und schluchzte. »Einen Frosch hab ich essen müssen«, stieß sie hervor, »einen verfluchten schleimigen widerlichen kleinen Frosch !«
    Gott sei mein Zeuge. Gott steh mir bei. Ich öffnete die Tür.
    Sarai war achtunddreißig – also drei Jahre älter als ich –, und sie war keine Schönheit. Nicht auf Anhieb jedenfalls. Selbst wenn man berücksichtigte, daß sie rund zehn Kilo abgenommen hatte, und davon absah, daß ihr Haar an den Pelz eines totgefahrenen Nagetiers erinnerte und diverse Schrammen und Stiche und eiternde Pusteln ihr die Haut eines Lepraopfers verliehen, selbst wenn man in einem Kraftakt der Phantasie versuchte, sie sich so vorzustellen, wie sie dereinst ausgesehen haben mochte, in der behaglichen Sicherheit ihrer Eigentumswohnung in Tarzana, umgeben von sämtlichen Accessoires weiblicher Hygiene und

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