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Schlussakt

Schlussakt

Titel: Schlussakt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbsweiler
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nicht«, sagte sie grimmig und leerte meinen Sekt auch
noch. Wir kehrten an unsere Plätze zurück.
    Bevor sich der Vorhang zum dritten Akt hob, betrat der
Intendant die Bühne. Seine Brille war dieselbe wie gestern Morgen, dafür hatte
er sich eine anthrazitfarbene Krawatte vor die Brust gebunden. Mit jener
Eloquenz, die den erfahrenen Theaterleiter auszeichnete, beklagte er
Barth-Hufelangs tragisches Dahinscheiden, um im nächsten Atemzug zu erläutern,
warum man den Opernbetrieb weiterlaufen lasse. ›Dieser Enthusiast der
Weltsprache Musik‹, schwärmte er. Eine Entscheidung in seinem Sinne. ›The show
must go on‹. Es war eine sehr schöne und gescheite Ansprache, noch gescheiter
wäre es allerdings gewesen, wenn der Hausherr auf die Befindlichkeit seiner
Gäste Rücksicht genommen hätte. Schließlich galt der verstorbene GMD seit heute
nicht mehr als Opfer, sondern als Täter: ein Heftchen hortender Pädophiler. Das
hatte der Intendant nicht bedacht, und so musste er sich nicht wundern, dass der
Unmut des verehrten Publikums mit jeder Nennung von Barth-Hufelangs Namen
wuchs. Als er am Ende gar ein Gedenkkonzert für den Toten ankündigte, brach das
Parkett einhellig in Buh-Rufe aus. Es gab Pfiffe und Gezische, Türen knallten,
vom zweiten Rang herab schrie ein Herr mit tenoralem Pathos: »Und wer denkt an
unsere Kinder?«, was mit frenetischem Beifall honoriert wurde, bis der wackere
Intendant leichenblass von der Bühne stürzte.
    Von diesem erheiternden Intermezzo abgesehen, glich die
zweite Opernhälfte der ersten. Keine Auswechslungen. Der Liftboy bekam die
gelbe Karte, lange hielt der Graf ein Unentschieden, in der Nachspielzeit
jedoch erzielte Figaro den Siegtreffer. Ovationen auf der Haupttribüne. Den von
Wonneguts war der Ausgang offenbar bekannt, sie erschienen nach der Pause nicht
mehr. Mich hätte interessiert, ob die Alte den unglücklichen Intendanten auf
offener Bühne erdrosselt oder lediglich aus ihrem Verein geschmissen hätte.
Nicht mein Problem. Dafür sah ich Cordula Glaßbrenner, wie sie regungslos und
irgendwie traurig im Parkett neben ihrem Möbelgroßhändler saß. Und im zweiten
Rang ließ sich Sportsfreund Harald von seiner Stute abschlecken.
    Sonst passierte bis zu dem Augenblick, als wir Dagmar Schulz
im Foyer über den Weg liefen, nichts Erwähnenswertes mehr. Es sei denn, man
hält einen schnarchenden Opernbesucher ein paar Plätze weiter für
erwähnenswert. Oder die Haarbürste, die Figaro bei einem Gerangel am Bühnenrand
aus der Hand und in den Orchestergraben fiel. Es war eine Plastikbürste, und
sie richtete keinen Schaden an, aber ein beschäftigungsloser Trompeter, der
unten gerade im Spiegel blätterte, zuckte erschrocken zusammen. Nicht im Stern , ich schaute extra hin, es war die aktuelle Spiegel -Ausgabe.
    »Warum gehen wir zwei nicht öfter in die Oper?«, seufzte
Christine beim Schlussapplaus.
    ›Weil es so selten Morde während einer Premiere gibt‹, dachte
ich. Aber das war keine Antwort, mit der sie sich zufriedengegeben hätte.
    Wie auch immer, für mich und meine Ermittlungen hatte dieser
Besuch Folgen. In der Nacht ging ich die Ereignisse auf der Bühne noch einmal
durch. Ich träumte von springenden Liftboys und fallenden Bürsten und wachte
schlecht gelaunt auf. Musikfetzen schwirrten durch meinen Kopf. Ich brauchte
mehr Kaffee als üblich, bis mir nach der dritten Tasse ein Gedanke kam. Was
heißt, er kam? Ich sah ihn regelrecht emporsteigen, still und behutsam, wie
träge Luftblasen zur Wasseroberfläche schweben, um dort ohne Geräusch zu
zerplatzen.
    Ich beschloss, der Frau mit dem Holzprügel einen Besuch
abzustatten.
    Mit Dagmar Schulz hatte dieser Gedanke jedenfalls nichts zu
tun. Die Dramaturgin stellte sich uns in den Weg, als wir nach überstandener
Schlacht an der Garderobe das Weite suchten. Ihr roter Schopf glänzte im Licht
der vielen Deckenlampen.
    »Vielen Dank für die Karten«, sagte ich. »Die Plätze waren
toll.«
    »So gute hatten wir noch nie«, sagte Christine. Hoffentlich
überhörte Frau Schulz ihren Sarkasmus.
    »Und? Haben Sie neue Erkenntnisse gewonnen? Oder lediglich
einen schönen Opernabend gehabt?«
    Ich kratzte mich am Kopf. »Mal sehen. Vielleicht beides.«
    »Die Oper war klasse«, sagte Christine. »Bloß mit dem
Publikum werde ich nicht warm.«
    »Wem sagen Sie das?« Die Dramaturgin fing an zu lachen. Sie
sah so angetan aus, dass ich befürchtete, sie werde uns im

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