Schlussakt
endlich. »Wir sind
keine Sekte. Die Erzbruderschaft ist eine anerkannte Kirche. In der DDR
wurden wir verfolgt. Das wissen Sie doch, Chef.«
»Und ich weiß«, sagte ich, »dass es in dem Verein einen gibt,
der schon mal zuschlägt, wenn es ihn überkommt. Die Faust Gottes, nicht wahr?«
»Das hör ich mir nicht länger an.«
»Nehmen Sies als kleine Retourkutsche«, sagte Fischer. »Ganz
schön empfindlich, diese Privaten. Aber jetzt kommen Sie endlich zur Sache,
Herr Koller, wir haben unsere Zeit nicht gestohlen.«
»Gut, wie Sie möchten. Also noch mal von Anfang an. Herr
Fischer: Warum haben Sie Bernd Nagel überhaupt jemals verdächtigt? Können Sie
mir das sagen?«
»Bitte, Herr Koller. Ich habe heute noch zwei Arzttermine.«
»Ihn zu verdächtigen, war der größte Quatsch, den man sich
denken kann. Wenn man denken kann. Angenommen, Bernd Nagel bringt seine
Freundin um. Anschließend schleppt er sie in sein Zimmer, um den Verdacht auf
sich selbst zu lenken. Er zieht ihr den Slip aus, weil dann jeder sofort an Sex
und eine Beziehungstat denkt. Er geht spazieren, damit möglichst vielen
Besuchern sein Fernbleiben auffällt. So bescheuert kann niemand sein, Herr
Fischer!«
»Weiter!«
»Anders als Sie mir unterstellten, war es nie mein Interesse,
Herrn Nagels Unschuld zu beweisen – oder Sie von dieser Idee abzubringen. Für
mich war von vornherein klar, dass er den Mord nicht begangen hatte. Es war ein
anderer. Jemand, der sah, was sich im Geschäftsführerzimmer abspielte. Der
wartete, bis Herr Nagel gegangen war, um Annette Nierzwa zur Rede zu stellen.
Er zieht sie in den Überaum, gerät mit ihr in Streit, erwürgt sie. Nur für eine
dritte Person macht es Sinn, den Verdacht so offensichtlich auf Bernd Nagel zu
lenken.«
»Das sehe ich anders«, sagte Fischer. »Aber sprechen Sie
weiter.«
»Warum dieser Streit? Über die Inszenierung werden sich die
beiden kaum in die Haare geraten sein. Die Ursache liegt vielmehr in dem, was
kurz zuvor in Herrn Nagels Zimmer passierte. Unser Beobachter war eifersüchtig.
Da hatten sich Bernd Nagel und Annette Nierzwa offiziell getrennt, Annette galt
als solo – und dann das! Unser Mann rastet aus.«
»Du meinst, ein neuer Liebhaber?«, fragte Marc.
»Ein Liebhaber, ja. Ob alt, aktuell oder zukünftig, ließ sich
bei Frau Nierzwa nicht immer unterscheiden. Tut mir leid, Herr Nagel, legen Sie
meine Worte nicht auf die Goldwaage.«
Nagel schwieg.
»Moment, Herr Koller«, polterte Fischer. »Mord aus Eifersucht
überzeugt mich nicht. Als Motiv ein bisschen zu klassisch. Wer sich mit Frau
Nierzwa einließ, musste doch damit rechnen, dass es weitere Männer gab.
Nebenbuhler, Affären, Verflossene. Behaupten Sie bitte nicht das Gegenteil,
Herr Nagel!«
Wir schauten zu Bernd Nagel hinüber, doch der hob nur die
Schultern.
»Sie haben recht«, nickte ich. »Eifersucht alleine war es
nicht. Es kam noch ein weiteres Motiv hinzu, genau genommen sogar zwei Dinge.
Annette Nierzwa besaß etwas, das sie nicht herausrücken wollte. Deswegen starb
sie.«
»Ihre Unschuld«, murmelte Greiner, schüttelte aber gleich den
Kopf, als gefiele ihm sein eigener Witz nicht.
»Haben Sie in Frau Nierzwas Wohnung einen Kalender
gefunden?«, fragte ich ihn. »So einen Jahresplaner, DIN-A5, von letztem Jahr,
dem ein Novemberblatt fehlt?«
Die Polizisten sahen sich an. Ich kramte den Zettel mit Bernd
Nagels Namen hervor.
»Keine Ahnung«, sagte Greiner. »November, kann sein. Einen
Kalender gab es jedenfalls.«
»Könnte dieses Blatt passen?«
»Möglich. Wo haben Sie den Wisch her?«
»Vom Mörder. Und der hatte ihn aus Annette Nierzwas Wohnung.
Für ihn kein Problem, er war ja im Besitz von Annettes Schlüsseln. Mit ihnen
konnte er nicht nur das Büro des Geschäftsführers abschließen, sondern sich
auch Zutritt zu der Wohnung in der Mittermaierstraße verschaffen.«
»Woher wissen Sie das so genau?«, fragte Fischer. »Man könnte
meinen, Sie seien ebenfalls dort gewesen.«
»Herr Kommissar«, rügte ich ihn. »Natürlich war ich dort. Ein
Polizeisiegel an der Tür hat mir den Zutritt verwehrt. Der Rest war Kopfarbeit.«
»Verstehe.«
»Im Übrigen ist es egal, wo der Mörder diesen Kalenderausriss
fand. Vielleicht trug ihn Annette Nierzwa während der Premiere bei sich, und er
musste gar nicht in ihre Wohnung. Viel wichtiger ist die Bedeutung des
Zettels.«
Alle beugten sich über das Papier, drehten es um, lasen die
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