Schlussakt
Sorgwitz verrenkten sich die Hälse, um
an Covets Lektüre teilhaben zu können. Irgendwann warf Marc sie ihnen in den
Schoß.
»Ist sie das?«, fragte Sorgwitz und zeigte auf das Foto einer
Geige in Frauenhänden. Er hielt die Zeitschrift neben das Instrument aus dem
Safe und verglich. »Das scheint sie zu sein.«
»Sehen Sie genau hin. Fällt Ihnen nichts auf?«
»Eine Kopie«, nickte Greiner und setzte seine Lesebrille auf.
»Klar, darum geht es. Eine der Geigen ist eine Fälschung, und wir sollen den
Fehler im Bild entdecken.«
»Quatsch.«
»Die Tätowierung«, sagte Fischer.
»Die Tätowierung«, nickte Sorgwitz und tippte auf das Foto.
»Das ist die Nierzwa.« Sie hatten beide das Schmetterlings-Tattoo an der
Innenseite des linken Unterarms erkannt.
»Ja«, sagte ich. »Annette Nierzwa hält die Geige in der Hand,
und es ist das Original, keine Kopie. Kneipengänger wie ich sehen überdies
sofort, dass die Aufnahme in der Hinterbühne gemacht wurde. Hier, die
Aschenbecher, die Getränkekarte. Unverkennbar.« Ich packte das Instrument
wieder in den Koffer und verstaute beides im Safe.
»Tja, in der Hinsicht schlagen sie uns, die Privaten«,
murmelte Greiner.
»Herr Nagel«, sagte Kommissar Fischer und rieb sich die
Hände. »Nun erzählen Sie uns schon, was es mit dem Instrument auf sich hat.«
Der Geschäftsführer warf ihm einen kurzen, verächtlichen
Blick zu und schwieg.
»Schauen Sie mich bitte nicht an wie das Schaf den
Schlachter. Es wird ja wohl Gründe dafür geben, dass Sie niemandem von Ihrem
Besitz erzählt haben.«
Das war unter Garantie die falsche Art und Weise, mit Nagel
ins Gespräch zu kommen. Aber da war ja noch Marc. Seine und Nagels Blicke
trafen sich für einen Moment. Daraufhin schluckte der Schönling und richtete
sich räuspernd im Sessel auf.
»Das Wesentliche steht in
dem Artikel drin«, begann er. Seine Stimme klang heiser. »Die Guarneri ist seit
1939 im Besitz unserer Familie. Niemand sprach darüber, woher sie stammte. Mein
Urgroßvater hatte sie gekauft, dann wurde sie vererbt. Nach dem Krieg waren wir
keine besonders reiche Familie mehr, aber wir hatten die Geige. Gespielt wurde
sie selten. Mein Vater verlieh sie manchmal an Nachwuchsmusiker, was immer im
Stillen geschehen musste, ohne dass groß eine Versicherung eingeschaltet wurde.
Als er vor zwei Jahren starb, erbte ich sie. Verkaufen wollte ich sie auch
nicht, aber wenigstens wissen, was sie wert ist. Also brachte ich sie zum
Geigenbauer. Und so kam die Geschichte ins Rollen. Irgendwann erhielt ich eine
Expertise, in der stand, dass die Guarneri früher einem jüdischen Geiger
gehörte, der aus München flüchten musste. Seinen Besitz haben die Nazis
verscherbelt.«
»Und was hast du daraufhin getan?«, fragte Marc, weil Nagel
eine Pause einlegte.
»Als Erstes habe ich alle Bilder meines Vaters verbrannt.
Oder auf den Müll geschmissen. Mit meiner Mutter gab es einen Riesenkrach, aber
die Alte war ja schon immer unzurechnungsfähig.«
Wie erfrischend, den Schönling so reden zu hören! Auf diese
Weise kam also die Freundschaft mit Cordula zustande: Man arbeitete sich
gemeinsam an der Vätergeneration ab.
»Seitdem«, fuhr er fort, »stecke ich in Verhandlungen, wie
die Familie des geflohenen Geigers angemessen zu entschädigen wäre. Das ist ein
wahnsinnig empfindlicher Prozess, nicht nur des Themas wegen. Man hat auf viele
Personen Rücksicht zu nehmen, und es geht um verdammt viel Geld. Ich war
peinlich darauf bedacht, dass nichts an die Öffentlichkeit drang. Aber das
klappte nicht. Im Herbst riefen mich Reporter vom Stern an, die eine
Story über das Thema bringen wollten. Nach dem zehnten Anruf habe ich
nachgegeben. Unter der Bedingung, dass mein Name nicht erscheint. Aber sie
wollten unbedingt ein Foto. So eine Geige macht halt mehr her als die ewigen
Impressionisten. Wir haben uns dann Mitte November im Nebenzimmer der Hinterbühne getroffen, zwei Reporter, Annette und ich. Da wurde das Foto gemacht.«
»Aber warum bewahrst du die Guarneri hier auf und nicht in
einem Bankschließfach?«, fragte Covet.
»Weil ich die Verantwortung für sie habe«, gab Nagel fast
aggressiv zurück. »Mein Vater und mein Großvater haben sich aus der
Verantwortung gestohlen, verstehst du? Ich wollte das nicht tun. Außerdem
wusste ja niemand davon. Nur Annette. Und der habe ich vertraut.«
»Weil Sie im November noch zusammen waren«, ergänzte ich. »Da
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