Schmeckts noch
Lebensmittel zusammen. Weitgereistes »Essen auf Rädern« jedoch schadet wegen des Kohlendioxidausstoßes beim Transport der Atmosphäre. »Heranwachsende müssen das schon in der Schule lernen«, sagt Hutter, »sonst werden sie zu verfetteten Ernährungs- und Umweltanalphabeten.«
Das Schlankheitsversprechen ist zwar Trumpf im Kühlregal, doch auch die abgespeckten Variationen der Lebensmittel bringen nicht die Lösung: Seit es »Light«-Produkte gibt, hat sich die Zahl der Dicken in den USA um ein Drittel erhöht. Einige Lebensmittel werden deshalb jenseits des Atlantiks bereits mit Tabak und Alkohol auf eine Gefahrenstufe gestellt. Big Mäc und Pommes als Droge für die Dicken? Die Schadensersatzklage einer amerikanischen Mutter in Millionenhöhe wurde von einem Gericht in den USA zwar abgewiesen, aber so ganz vom Tisch ist die Diskussion, ob Fabrik- und Fastfood die wahren Fettmacher sind, nicht.
Wie macht man Omas warme Suppe?
Warum essen wir so verrückt? Ist die Industrie schuld, die uns in Zeiten der Übersättigung immer mehr Appetit macht? Dabei bleiben wir doch oft vor vollen Tellern hungrig zurück. Aber warum? Vielleicht bleiben Grundbedürfnisse unerfüllt? Vermisst der Körper Omas warme Suppe? Die Sehnsucht nach der guten alten Essenszeit ist trotz Wellness- und Fitnessfood spürbar. Retro-Mahlzeiten wie Königsberger Klopse, Pichelsteiner-Eintopf und Reibekuchen tauchen als Fertiggerichte wieder in den Regalen auf. Es riecht ein bisschen wie damals bei Muttern, wenn die vorgefertigte Mahlzeit aus der Mikrowelle kommt. Aber es schmeckt anders: Fertiggerichte sind eben doch Einheitseintopf. Dabei will auch das Kind in uns gefüttert werden. So sehen es jedenfalls die Psychologen: Eine warme Suppe ist wie eine warme Decke. Doch wie hat Mama die warme Suppe gemacht? Wer weiß heute noch, wie man Marmelade einkocht, Brot selber bäckt, Kartoffeln richtig lagert, Sauerkraut stampft oder Bohnen auf Fäden zieht, damit sie an der Luft trocknen können? Die Kunst des Konservierens ist schon fast verlorengegangen, und nun droht die »GenerationBackmischung« auch das traditionelle Kochen zu verlernen. Tüte aufreißen, Inhalt mit Wasser anrühren – fertig! Ist doch ganz einfach, oder?
Wenn wir wieder schmecken wollen wie damals, sind viele Menschen heute auf die Industrie angewiesen. Die klassische Hausmannskost verschwindet mit der klassischen Hausfrau aus Deutschlands Küchen. Der Menschentyp Hausfrau und der Sonntagsbraten sind beide vom Aussterben bedroht. In deutschen Küchen lernt der Nachwuchs allenfalls, die Mikrowelle zu bedienen. Heute wachsen schon in der zweiten Generation Kinder heran, die nicht kochen können, weil sich bereits ihre Eltern durch den Tag gesnackt haben.
»Und die Industrie hat schon vorgekocht«, beklagt Otto Geisel, Vorsitzender von Slow Food Deutschland und Inhaber des Hotels Victoria in Bad Mergentheim. Immer mehr Fähigkeiten gehen dadurch verloren, bald weiß niemand mehr, wann welche Obstoder Gemüsesorte wächst und wie man sie zubereitet. Otto Geisel engagiert sich deshalb ganz besonders für »die kleinen Genießer, die Essen und Schmecken wirklich erst lernen müssen«. In Schulkantinen bereiten »Slow-Food-Köche« frisch geerntete Lebensmittel aus der Region zu. »Das Essen ist obendrein preiswert – und wir blicken nur in zufriedene Kindergesichter, die an gedeckten Tischen sitzen. Sie lieben es …!«
Wie wächst Sauerkraut?
Die Entfremdung von unseren Lebensmitteln ist erschreckend weit fortgeschritten. Wie wird eine Kuh gemolken? Wie macht man Joghurt und Käse? »Wie wächst Sauerkraut?« Diese Frage wurde Besuchern der Grünen Woche in Berlin von einem Fernsehteam gestellt. Nicht einer der befragten Besucher wusste dieAntwort. Sauerkraut? Hilflos zeichnete eine Frau komische Fäden auf eine Tafel: »So wächst Sauerkraut!« Die Fäden wuchsen senkrecht aus dem Acker. Da bleibt einem das Lachen im Halse stecken.
Wer schlachtet sein Huhn heute noch selbst, bevor er es isst? Dass der Hamburger zwischen dem Brötchen einmal etwas mit einem Rind zu tun hatte, wissen die meisten Kinder nicht. Diese Distanz zum »Lebensmittel Tier« macht Tierfabriken und die unhaltbaren Zustände darin erst möglich. Durch die industrielle Lebensmittelproduktion ist uns auch das Mitleid für unsere Mitgeschöpfe abhanden gekommen.
Wenn ein Mensch 70 Jahre alt geworden ist, hat er statistisch über 100 000 Mahlzeiten verzehrt und sechs Jahre seines Lebens mit
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