SchmerzLust: Mein geheimes Leben als Domina (German Edition)
darüber nachzudenken, was einer blutigen Anfängerin, so schrieb er, zuzutrauen war, und verabschiedete sich bis zum folgenden Samstagabend.
»Blutige Anfängerin …«, hallte es in meinen Gedanken nach.
Blutige Anfängerin von was?
Tief in mir spürte ich eine elementare, bis dato nie gekannte Neugier, gekoppelt an eine fast schmerzhafte Lust. Was war das?
Als ich zu Bett ging, bemerkte ich verwundert, dass ich zum ersten Mal seit Monaten nicht mehr so unendlich traurig und niedergeschlagen war. Erschrocken stellte ich mir selbst Helens Frage, ob ich in Marcel verliebt sei, aber außer einem gewissen Prickeln war nichts zu spüren. Die Gefährtin löschte bald darauf das Licht, aber sie war nicht mehr allein in meinem Kopf. Da wuchs etwas heran, das begann, ihr die Alleinstellung streitig zu machen. Etwas, dem noch jegliche Konturen fehlten, das aber unzweifelhaft existent war. Verwundert schlief ich ein.
Ich stand gegen Mittag auf und war froh, dass ich Marcel erst in zwei Tagen wiedersehen würde. Ich wollte sie nutzen, um meine Gedanken zu ordnen und mich zu wappnen, damit er mich kein zweites Mal derart irritieren konnte wie am Vorabend. Gegen vier Uhr nachmittags loggte ich mich im Chat ein, aber von Häwelmann keine Spur. Erst gegen acht Uhr abends war er wieder für mich da. Leider nur kurz.
»Ich muss bis Mitternacht arbeiten«, schrieb er, »aber ich habe dir ein paar Links herausgesucht, mit denen kannst du dich in der Zwischenzeit beschäftigen. Ich möchte, dass du den Aufbau, die Parameter des Sadomasochismus begreifst.«
So schrieb er tatsächlich, und ich freute mich über seinen Intellekt und darüber, dass er sich die Zeit dafür nahm, mir etwas von seinem Wissen abzugeben.
Für einen Devoten fand ich ihn ziemlich dominant, stürzte mich aber begierig auf die Links und vergaß bald alles um mich herum.
Es waren vier Links zu vier verschiedenen Themenbereichen: BDSM, Femdom , Sadismus und Masochismus .
Ich begriff, dass das gesamte Gebiet BDSM genannt wurde. BDSM ist Englisch und steht für Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism – zu Deutsch Verpflichtung & Disziplin, Dominanz und Unterwerfung, Sadismus & Masochismus – und zeigt durch das Ineinanderübergleiten der Buchstaben auch gleich die Verwebung der Hierarchien. Unkundige übersetzen Bondage natürlich viel eher mit »Zwang« oder »Sklaverei« oder nur mit »Fesseln«, weil sie die tiefgründigere Bedeutung – Verpflichtung – überhaupt nicht kennen, geschweige denn begreifen. Das können sie ja auch nicht, weil sie sich nie damit auseinandergesetzt haben. Aber zurück zur Anfängerin, die als Nächstes begriff, dass Femdom, die weibliche Dominanz, eine Anschauung ist, bei der Frauen wie Männer davon überzeugt sind, dass die Frau die bessere Herrscherin ist. Ich lernte auch, warum: Frauen werden insgesamt als besonnener angesehen und verfügen über höhere Führungsqualitäten. Außerdem sind sie feinfühliger, empathischer. Sie bilden Netzwerke – Männer Hierarchien. Frauen orientieren sich an der Realität – Männer an Regeln. Frauen zetteln nicht blindwütig Kriege an, so las ich, sondern sie wägen ab und kalkulieren, bevor sie eine wohldurchdachte Entscheidung treffen. Ein weiteres Argument für ihre Vormachtposition sei die Tatsache, dass Frauen in der Lage sind, zu gebären, und Männer eben nicht. Die Gefährtin kicherte: Keine weibliche Geburt ohne männlichen Samen. Da hatte sie natürlich recht. Dennoch bewertet Femdom das Privileg der Geburt höher als den Samen. Das erinnerte mich irgendwie an die Huhn-Ei-Diskussion und was zuerst da war. Viel mehr als die Bedeutung des Geburtsprivilegs interessierte mich jedoch die Femdom-Philosophie im Zusammenleben von Mann und Frau, jenseits von Ehe und Kindern. Eine Ehe, wenn auch kinderlos, hatte ich ja gerade erst hinter mich gebracht. Mir war klar geworden, dass ich aufgrund des Scheiterns meiner Ehe auf der Suche nach alternativen Lebenskonzepten war, zu denen, so spürte ich mit nie gekannter Intensität, SM und Femdom zählen konnten. Ich las also nicht nur Häwelmanns Links, sondern kam von dort auf Hölzchen und Stöckchen, was durchaus als fröhliches Wortspiel betrachtet werden kann. So erfuhr ich, dass Femdom keine erotische Spielart war, in der sich der Sub oder Bottom – also der unterlegene Part – für die Dauer einer Session den Befehlen seines Tops oder seiner Domina, also dem überlegenen Part, unterwarf und
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