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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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aussuchen, ja?«
    »Ach nein, Püppi, jetzt reg dich nicht auf, so war das nicht gemeint!«
    »Wie denn?«
    »Ach, das ist doch jetzt egal! Außerdem hatte ich ja wohl allen Grund, sauer zu sein, denn du bist einfach so mit dem Kramer von meiner Geburtstagsfeier abgerauscht! Das fand ich oberbescheuert! Und deine hirnrissige Aktion mit den Peperoni! Echt, ich könnte genauso beleidigt sein wie du! Aber im Gegensatz zu dir bin ich nicht nachtragend. Siehst du, ich entschuldige mich sogar noch mal. Komm, Püppi, vertragen wir uns!«
    Sie setzt ihren Hundeblick auf, legt den Kopf schief, wickelt eine meiner Haarsträhnen um ihren Zeigefinger. »Bitte!«
    »Na gut«, murmele ich.
    »Oh super! Ich bin ja so froh!« Sie drückt mich stürmisch und ich lasse es über mich ergehen. Ich weiß, dass ich mich gleich über mein schnelles Nachgeben ärgern werde.
    »Und du fragst Benne?«
    »Ja, ja.«
    »Und rufst mich gleich an, damit ich weiß, was er gesagt hat?«
    Ich ärgere mich bereits. Aber was will ich machen, wenn sie sich entschuldigt? Vertragen muss man sich ja schließlich, wenn man sich schon so lange kennt.
    »Tschüss dann! Ich warte auf deinen Anruf!«
    »Tschüss«, sage ich und sehe ihr nach, wie sie die Straße hinunterläuft und sich noch zweimal umdreht, um zu winken.
    Sie wird weiter hinter meinem Rücken lästern, so wie sie es in der Pause schon getan hat. Sie braucht mich nur, um an meinen Bruder heranzukommen. Es geht ihr nicht um mich. Ich bin ihr völlig gleichgültig. Das ärgert mich allerdings nicht so sehr wie die Tatsache, dass mir das eigentlich seit langem klar ist, ich aber trotzdem nicht in der Lage bin, mich von ihr zu lösen. Nie sage ich ihr, was ich denke, immer tue ich aus Höflichkeit Dinge für andere Leute, die ich selbst gar nicht tun will. Das hasse ich an mir!
    Ich gehe ins Haus, bleibe im Flur stehen, lasse den Schulrucksack auf den Boden plumpsen und horche. Aus der Küche dringt Geschirrklappern und klassische Musik, wahrscheinlich Bach. Meine Mutter ist also mal wieder in ihrer Mittagspause kurz nach Hause gekommen, ich höre sie jetzt mitsingen. Die Tür aber bleibt geschlossen, und es sieht nicht so aus, als ob sie mein Heimkommen bemerkt hätte. Mein Blick fällt auf die Papiere an der Pinnwand. Zwei überdimensional groß fotokopierte Zeitungsartikel von Benedikts erfolgreichem Umweltprojekt, für das er schon eine satte Finanzspritze des Schulfördervereins und etliche Preise abgesahnt hat, prangen dort, außerdem eine Kopie seines hervorragenden Abi-Zeugnisses und dazwischen noch einer von Mamas hochphilosophischen Sinnsprüchen aus dem Frauenkalender. »Sei stets du selbst« steht in geschwungenen Buchstaben auf zartviolettem Untergrund. Das passt jetzt super.
    Ich bin ich selbst. Ich bin nie so sehr ich selbst wie in diesen Augenblicken. Sorgsam ziehe ich die Heftzwecke, mit der der Spruch angepinnt ist, aus dem Kork. Die Karte segelt zu Boden, die Heftzwecke drehe ich zwischen meinen Fingern hin und her, wobei ich das kleine Ding genau betrachte. Seine weiße Plastikoberfläche ist schon ziemlich alt und abgestoßen, aber der golden schimmernde Nagel hat nichts von seiner Schärfe verloren, das beweist schon ein leichtes Stechen in die Fingerkuppe.
    »Du blöde Kuh lässt dich verarschen, du machst immer Männchen, wenn Conny es will, du lässt dich von ihr in den Hintern treten und sagst auch noch danke, du bist das Letzte!« Ich lege die Heftzwecke auf das Telefontischchen und drücke die linke Zeigefingerkuppe auf den senkrecht nach oben ragenden Nagel. Jetzt! Ich balle die rechte Hand zur Faust und schlage sie wie einen Hammer auf den Finger. Der senkt sich in die Heftzwecke, spießt sich selbst auf. Das ist brutal, aber hilfreich. Tränen treten mir in die Augen, nicht nur vor Schmerz. Was ich mache, ist krank, aber es erleichtert ungemein. Denn als ich die Heftzwecke herausziehe und das Blut vorquillt, habe ich meine Wut besiegt, wieder eine Schlacht gegen mich selbst gewonnen.
    Natürlich braucht man eine Menge Wut, um sich eine Heftzwecke ins eigene Fleisch zu jagen. Aber die habe ich, und es ist absolut notwendig, dass ich mich verletze. Tue ich es nicht, wird die Wut auf mich in meinem Inneren bleiben und anwachsen, und gegen diesen Schmerz, gegen die schrecklichen Stachelhalsbänder, die sich täglich enger um meine Seele ziehen, ist der Stich der Heftzwecke doch nur ein lächerlicher Piekser.
    Später, ich habe die Karte ordentlich wieder an ihren Platz

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