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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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gepinnt und den Finger desinfiziert und verpflastert, gehe ich zu meiner Mutter in die Küche, um mir ein Butterbrot zu machen.
    »Hol dir ein paar Radieschen dazu«, sagt Mama, »die sind jetzt gut.«
    »Mmmh«, antworte ich, mache aber keine Anstalten, in den Garten zu gehen. Meine Mutter merkt es auch gar nicht, sie sitzt am Küchentisch und brütet über der Gäste-und Speisen liste für Benedikts große Party, die er anlässlich seines Abis geben will und zu der alle kommen sollen, um ihn zu feiern.
    »Was hältst du davon, wenn wir beide vorher noch mal in die Stadt gehen und dir ein schönes Kleid kaufen? Du hast doch wahrscheinlich gar nichts Passendes anzuziehen.«
    »Ja, gerne!« Ich beuge mich über sie und berühre ihre Schulter. Sie hat lange, braune Haare, die nach Kräutern duften. In diesem Augenblick bin ich glücklich, habe Lust, ihr von Sebastian zu erzählen und von meiner Vorfreude, ihn wiederzusehen.
    »Wir werden dir mal etwas richtig Elegantes kaufen«, sagt sie und bedeutet mir mit einer Bewegung, mich neben sie zu setzen. »Was meinst du, es war doch sicher eine gute Idee, Bennes Abi nicht nur mit seinen Freunden, sondern auch mit der ganzen Verwandtschaft zu feiern, oder?«
    »Ja, schon, warum nicht?«
    »Das denke ich auch. Sie sollen ruhig alle wissen, wie stolz wir auf unseren Sohn sind.«
    Ich schlucke. »Natürlich.«
    »Ich habe sogar überlegt, die Laweckis und Webers einzuladen … Ach, wenn wir doch mehr Platz hätten! Aber Benne hat ja schon allein fünfundzwanzig Freunde eingeladen«, seufzt meine Mutter und schiebt mir eine Liste mit Namen herüber. Ich werfe einen Blick darauf. An oberster Stelle steht Conny, sieh an. Mein Name dagegen steht ganz unten. Getränke , steht in Klammern dahinter.
    »Ich will nicht das Serviermädchen spielen!«
    »Wieso? Es war doch abgesprochen, dass du den Getränkeausschank übernimmst.«
    »War’s nicht. Ich hatte noch nicht ja gesagt.«
    »Aber Püppi, das ist doch selbstverständlich!«
    Sie blickt mich so vorwurfsvoll an, als hätte ich eben etwas extrem Unrechtes getan. Als hätte ich ein Denkmal bespuckt oder die Glockenblumen im Garten zertreten.
    »Wenn’s so selbstverständlich ist, warum fragt Benne mich dann nicht selbst?«, stammele ich, wissend, dass dies kein Argument ist. Auch wenn Benne mich nicht bittet, ist es selbstverständlich, dass ich ihm zur Verfügung stehe, genauso selbstverständlich wie die Tatsache, dass entweder Onkel Hubert oder Tante Anneliese in meinem Bett schlafen werden, während ich mich auf der Couch im Wohnzimmer zusammenrolle, das war schon immer so, es ist selbstverständlich, dass der Gast das Zimmer der Tochter bekommt, auch wenn diese Onkel Hubert mit seinen verknöcherten Ansichten nicht ausstehen kann und Tante Anneliese immer furchtbar nach Mottenpulver stinkt, so dass man ihren Besuch noch Wochen später im Zimmer riecht. Und selbstverständlich ist, dass ich unhöflich, geizig und egoistisch bin.
    »Also wirklich!«, sagt meine Mutter, und damit hat sie eigentlich alles gesagt, sie steht auf, sieht mich zweifelnd an, so, als frage sie sich, ob diese missratene, unverschämte Göre wirklich ihr Kind sei, schüttelt den Kopf und fügt zum Abschluss hinzu: »Du stinkst nach Zigarettenrauch. Ekelhaft. Du rauchst doch wohl nicht, oder?«
    Das fragt sie mich fast jeden Tag. Sie hat es schon gefragt, als ich noch nicht geraucht habe und nur der Qualm der anderen an meiner Kleidung haften geblieben ist.
    »Nein«, sage ich leise.
    Sie hört es schon nicht mehr. Ist bereits draußen im Flur und schließt die Tür hinter sich. Ich bleibe einen Moment stumm am Küchentisch sitzen. Im Radio läuft noch immer die Bach-Kantate. »Komm, süßer Tod«, wird gerade leidvoll gesungen. Offensichtlich bin ich also nicht die einzige schmerzverliebte Person in der Menschheitsgeschichte. Ich summe mit und drücke meinen Zeigefinger auf die Holzplatte. Er schmerzt recht ordentlich. Je fester ich drücke, desto unangenehmer wird es. Ich drehe den Finger um, ziehe das Pflaster ab und sehe ihn mir an. Das Einstichsloch sieht aus, als hätte mir ein Arzt Blut abgenommen. Es gab mal eine Zeit, da fand ich es toll, wenn mir Blut abgenommen wurde. Schon weil ich mich nachher immer über ein kleines Geschenk freuen durfte. Heute dagegen fürchte ich mich vor Arztbesuchen, denn ich laufe Gefahr, dass die Narben auf meinen Armen bemerkt werden. Zwar sind es meist nur dünne, weiße Striche, aber man weiß ja nie. Daher bin ich

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