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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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dass die Gabel mir ausgerutscht ist, einfach so ausgerutscht, ganz ohne Absicht.
    »Beruhige dich, Püppi!« Mein Vater schleppt mich zum Auto, die Tür knallt zu und die anderen stehen an der Straße und sehen uns nach. Mein Vater fährt schnell. Es regnet stark und das Wasser klatscht auf die Scheiben. Einer der Scheibenwischer ist defekt, er hinterlässt eine Schmierspur, quietscht, wenn er sich bewegt.
    »Es tut mir Leid«, wiederhole ich endlos wie eine Zauberformel, während mein Vater rote Ampeln überfährt, hupt, flucht, mein Bein tätschelt und sagt: »Lass gut sein. Du kannst doch nichts dafür.«
    Die Worte aus meinem Mund sind jetzt kaum noch zu hören. Die Scham ist nun größer als der Schmerz in der Hand, und die Gewissheit, dass die dunklen Blutflecken, die ich überall hinterlasse, jahrelang auf Papas Beifahrersitz zu sehen sein werden, dass dieses Ereignis nicht in Vergessenheit geraten wird, dass man es mir in den nächsten Jahren noch vorhalten wird, macht mich schwindelig.
    In der Ambulanz behandelt mich der gleiche Arzt, der vor wenigen Stunden Sebastians Platzwunde genäht hat. Er hat an diesem Tag schon eine Unzahl Patienten versorgt und erkennt mich daher nicht wieder.
    »Wie ist das denn passiert?«, fragt er mehr routiniert als interessiert, nachdem er meine Wunde verbunden und mir ein entzündungshemmendes Mittel verschrieben hat.
    »Ein Haushaltsunfall«, sagt mein Vater knapp. Er hat sich nicht nehmen lassen, bei der Behandlung dabei zu sein, und lehnt nun mit hinter dem Rücken verschränkten Armen an der Tür.
    »Und wie genau ist es passiert?«, hakt der Arzt nun doch nach und sieht mich auffordernd an, als wolle er hinzufügen, dass ich ja wohl selbst sprechen könne.
    »Sie sollte das Abendessen machen«, antwortet mein Vater wiederum an meiner Stelle. »Tomaten schneiden, Aufschnitt aufdecken. Da ist ihr die Fleischgabel ausgerutscht.«
    »Ausgerutscht?«, wiederholt der Arzt und lässt seinen Blick prüfend über die anderen Narben auf meinem nackten Arm gleiten. »Und dies hier?« Er entfernt vorsichtig die Pflaster, die ich gestern über die frischen Schnitte geklebt habe.
    »Da ist sie über einen Zaun geklettert.« Mein Vater beugt sich vor, um die Wunden sehen zu können, und in seinen Augen lese ich das Erschrecken darüber, dass der vermeintliche Zaun mich doch erheblich verletzt hat.
    »Und hier?« Die Schnitte am Handgelenk sind jetzt eine Woche alt und immer noch gut zu sehen. »Auch ein Zaun, vermute ich?«
    Der Arzt sieht erst meinen Vater an, der schweigt, dann richtet er seinen Blick auf mich. Ich schweige ebenfalls. Ich weiß, dass er Verdacht geschöpft hat. Es sind zu viele Verletzungen und die Erklärungen einfach zu unglaubwürdig.
    Nun wäre es gut, wenn mir etwas einfiele. Eine alles umfassende plausible Erklärung, die mich schnellstens hier raus und nach Hause bringen würde. Doch mir fällt nichts ein, die Zeit verrinnt, die große Uhr über der Tür tickt und tickt und mein Vater tritt von einem Bein aufs andere.
    Diesmal bin ich zu weit gegangen. Ich habe die beiden goldenen Regeln nicht beachtet: Ich habe mich in der Öffentlichkeit verletzt und ich habe es zu fest getan. Der Arzt hat etwas gemerkt, er denkt, ich sei eine, die sich nicht unter Kontrolle hat, die mit ihrem Leben leichtfertig umgeht, die sich in Gefahr bringt. Schon spielt er mit dem Gedanken, mich in die Psychiatrie einzuliefern, genau wie Sebastian es mir prophezeit hat, er will mich, wie ich es in vielen Filmen gesehen habe, mit Ledergurten ans Bett fesseln, mir eine Spritze nach der anderen geben und mich so lange hinter vergitterten Fenstern einsperren, bis ich selbst nicht mehr rauswill und mich auch niemand draußen mehr haben will.
    Doch gerade in dem Moment, da ich sicher bin, verloren zu sein, erscheint mein Rettungsengel in Gestalt der Krankenschwester. »Herr Doktor, gerade ist ein Notfall reingekommen. Wie lange brauchen Sie hier noch?«
    Der Arzt sieht auf einmal sehr müde und überarbeitet aus. Er ist noch jung, aber trotzdem grau im Gesicht. Das Interesse an mir hat er verloren. »Ich komme sofort, ich bin hier fertig.«
    »Ihr passieren schon mal kleine Unfälle«, sagt mein Vater, obwohl das nun gar nicht mehr nötig gewesen wäre.
    Der Arzt nickt nur und sagt: »Ja, das wird’s wohl sein.« Er reicht uns die Hand und erhebt sich. »Dann müssen Sie eben ein bisschen mehr auf Ihre Tochter Acht geben. Und kommen Sie mit ihr morgen Nachmittag zur Nachkontrolle.«
    Auf

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